Von der Freitreppe blicken überlebensgroße weiße Steinfiguren auf die Besucher herab. Hinter den alten Mauern sind Wissen und Arbeit zu Hause. Der Eindruck trügt nicht, denn die Bayerische Staatsbibliothek München besitzt über zehn Millionen Bücher. Jedes Jahr kommen 140 000 Bände hinzu. Um all diese Bücher unterzubringen, gibt es neben dem Hauptgebäude unter anderem eine Speicherbibliothek in Garching, die auf 9000 Quadratmetern, aufgeteilt in vier Stockwerke, bis zu drei Millionen Bücher beherbergen kann.

Weil das nicht genug ist, baut die Bibliothek jetzt mit viel Engagement auch ihr digitales Angebot aus. Der Weg zum Digitalisierungszentrum (MDZ) führt durch eine massive Holztür und einen langen Gang mit hohen Decken. Es geht vorbei an einer überlebensgroßen Statue mit kaputter Nase – und plötzlich trifft Alt auf Neu. Hier, inmitten historischer Gemäuer, digitalisieren moderne Scanner mit aller neuester Technik die Vergangenheit für die Zukunft.

Staasbibliothek digitalisiert Lutherbibeln aus Coburg

An einem dieser 26 Scanner haben MDZ-Mitarbeiter die Lutherbibeln aus Coburg eingescannt. Zwei Wochen dauerte das, ganz vorsichtig mussten sie mit den alten Büchern umgehen. Zuvor restaurierte ein Kurator die Bibeln und prüfte, wie weit sie geöffnet werden können, um Schäden des Buchrückens zu vermeiden. Nur mit Handschuhen durften die Bücher berührt werden.

Eine Lutherbibel benötigte 1500 Scans. Ihre digitale Kopie hat ein Datenvolumen von 60 Gigabyte. Für viele alte Bücher wird zum Scannen eine spezielle Halterung eingerichtet, und die Seiten werden mit dem sogenannten Münchner Finger fixiert. Der ist aus durchsichtigem Plexiglas und verhindert, dass Finger mit gescannt werden, die nachher als unschöne dunkle Abdrücke sichtbar sind.

Auch leere Seiten und Insekten werden gescannt

»Auf die Idee kam ein Mitarbeiter «, erzählt der Verantwortliche des Digitalisierungszentrums, Ralf Schwerdtfeger: »Er hat einfach einen langstieligen durchsichtigen Eislöffel mitgebracht.« Heute liegt der in einer Vitrine neben alten Fotoapparaten und dem Bild einer Münze aus dem 16. Jahrhundert, die beim Digitalisieren in einem Buch gefunden wurde.

Wenn sich etwas in den Büchern befindet, beispielsweise ein Insekt, bleibt es dort, auch während des Scannens. Ebenso wie leere Seiten mit gescannt werden oder Seiten, die verkehrt herum im Buch sind. »Es ist nicht die Aufgabe des Bibliothekars, etwas zu zensieren. Das Buch soll auch in digitalisierter Form originalgetreu sein«, erläutert Schwerdtfeger.

»bavarikon«-Rat entscheidet über gescannte Werke

Die Idee, die Lutherbibeln sowie 120 weitere Exponate zur Reformation zu scannen, entstand in Zusammenhang mit dem anstehenden Luther-Jubiläum 2017. Welche Werke ausgewählt werden, hat der »bavarikon«-Rat entschieden. Unterstützt wird das Online- Portal, und damit auch das Luther- Projekt, vom Freistaat Bayern mit vier Millionen Euro. Die Zielgruppe des Projekts sind Wissenschaft und Lehre sowie ein bildungsinteressiertes Publikum.

Auch junge Menschen nutzen das bereits digitalisierte Angebot zur Reformation. Ziel des Digitalisierungsprojekts ist die kostenlose Zugänglichkeit der urheberrechtsfreien Werke für jedermann. Gleichzeitig sind die Bücher durch den verringerten Gebrauch besser geschützt.

2016 soll bei »bavarikon« der Schwerpunkt auf dem Thema Luther liegen. Es werden über 50 handschriftliche Briefe und Dokumente eingescannt. Auch die Städte und Orte, an und in denen sich Luther aufgehalten hat, sollen digital dargestellt werden.