Eigentlich wollte die evangelische Kirche die Lutherbibel nur auf Fehler durchsehen lassen. Stattdessen kehrt sie nun an unzähligen Stellen zum Deutsch Martin Luthers zurück. 70 Theologen und Sprachwissenschaftler haben an einer Revision gearbeitet. Die neue Fassung soll zum Reformationstag 2016 erhältlich sein.

Die Weihnachtsgeschichte ist ein ganz trauriges Kapitel.« Mit dieser Feststellung meint der Theologe Christoph Levin allerdings nicht den Inhalt, sondern die aktuelle Übersetzung der Lutherbibel. Gleich an fünf Stellen werden nun allein die Verse 3 bis 6 im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums geändert.

Lutherbibel 2017: »Bewahren, wiederherstellen, korrigieren«

Levin, Alttestamentler an der Universität München, gehört wie der ehemalige thüringische Bischof Christoph Kähler zu dem 70-köpfigen Team, das eine Revision der letzten Luther-Ausgabe von 1984 vorgenommen hat. »Bewahren, wiederherstellen, korrigieren«, haben sie ihren Werkstattbericht überschrieben. Schon damit wird deutlich, dass die Übersetzungen von 1964 (Altes Testament) und 1984 (Neues Testament) heute eher kritisch betrachtet werden. Manches sei in der Übersetzung von 1912 besser gewesen, sagt Kähler. Er schätzt, dass die neue Lutherbibel rund 12.000 Änderungen bekommen wird. Im Neuen Testament wurde fast die Hälfte aller Bibelverse verändert. Wirklich auffallen wird die neue Anrede der Gemeinden. So wird an etlichen Stellen in den Paulusbriefen die Gemeinde nun mit »Brüder und Schwestern« angeredet.

Das Ziel der Neuausgabe könnte von Luther selbst formuliert sein. Man müsse der Mutter im Haus, den Kindern auf der Gasse und dem gemeinen Mann auf der Straße »aufs Maul sehen« und so dolmetschen, wie sie reden, hatte der Reformator einst festgestellt. Selbst der ganz und gar nicht gläubige Philosoph Friedrich Nietzsche lobte Luthers Bibelübersetzung als »Meisterwerk der deutschen Prosa«, als »bisher bestes deutsches Buch«. Und »gegen Luthers Bibel ist fast alles übrige nur ›Literatur‹«.

Biblische Sprache soll Menschen näher sein

Bibelrevisonen sind in Deutschland immer noch eine heikle Sache, seit die EKD 1975 eine revidierte Version des Neuen Testaments vorlegte, die als »Eimertestament« in den Papierkorb wanderte. Die damaligen Bearbeiter hatten den »Scheffel«, unter den man in Matthäus 5,15 sein Licht nicht stellen soll, für nicht mehr zeitgemäß befunden und ihn durch einen »Eimer« ersetzt. Besonders kritisch ging damals Sprachpapst Walter Jens mit der Revision ins Gericht: Im »Eimertestament« sei der eigentliche Regent »die deutsche Mittelstandsdiktion des Jahres 1975«, ätzte Jens. »Eingängigkeit um jeden Preis, heißt die Parole; Zurücknahme des Fragwürdig-Fremden; rigoroses Ausmerzen des Emotionalen, Singulären und Individuellen.« Stattdessen werde alles gleichgemacht zu einer »spannungslosen Einerlei-Rede«. In einer für kirchliche Gremien beispiellosen Geschwindigkeit wurde das »Eimertestament« innerhalb eines Jahres überarbeitet.

Die neue Version rückt nun noch einmal näher an die Sprache des Reformators als frühere Übersetzungen. In Psalm 42 heißt es jetzt wieder: »Wie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele Gott zu dir.« Bei der Revision 1984 war am Versanfang »schreien« durch »lechzen« ersetzt worden. In Psalm 139 hat es früher in Vers 16 geheißen: »Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war.« 1964 wurde aus dem »da« ein »als«. In der Neufassung soll es wieder »da« heißen – wie in der Ausgabe von 1545! »Es geht ja nicht um einen temporalen, sondern kausalen Zusammenhang«, erläutert Levin. Und nicht zuletzt werde dann auch das Paul-Gerhardt-Lied EG 37, 2 wiedererkannt.

Luthers Sprache zielte aufs Hören

Luthers Übersetzungen hätten sich immer als »sprachschöpferisch, poetisch, empathisch und stilprägend« erwiesen und zielten auf das Hören. Diese »liturgische Brauchbarkeit« habe jetzt wieder im Mittelpunkt der Revision gestanden. »Klar war, es muss ein gut hörbares Deutsch werden«, betont Kähler. Das Vaterunser stand übrigens nie zur Debatte. Und »solange eine Gemeinde den Psalm 23 mitbeten kann, besteht keine Veranlassung zu Änderungen«, betont Kähler. Zur Diskussion standen einige Luther-Eigenheiten. Sollte es »rufen« oder »predigen« heißen, »Retter« oder »Heiland«, »umkehren« oder »sich bekehren«? In aller Regel wurde aus Luthers »Heiden« das neutralere »Völker«, aus dem verniedlichenden »Kinder Israels« ein zeitgemäßes »Israeliten«.

Und auch der Konjunktiv erlebt eine Konjunktur: Bisher hieß es in Johannes 11, 25: »Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.« Nun wird der Vers mit einem »ob er gleich stürbe« enden. »Wir wollten nicht klüger sein als Luther«, betont Levin. Wenn Luther von »der Sonnen Aufgang und der Sonnen Niedergang« gesprochen habe, meinte er sehr wohl Ost und West, wie es in der 1964er-Fassung heißt (Jesaja 45, 6). Doch das kann man eben nicht als Kanon singen.

Luthertext aus dem Gottesdienst entstanden

Kähler weist darauf hin, dass der Luthertext aus dem Gottesdienst entstanden ist. »Das muss in der neuen Ausgabe erkennbar bleiben.« Zugleich seien bei der Revision aber auch neue Erkenntnisse der Bibelwissenschaften berücksichtigt worden. Bei der Übersetzung des Neuen Testaments etwa sei an den Stellen, wo Luther dem griechischen Text seiner Zeit folgte, nun die an der Universität Münster erarbeitete textkritische Ausgabe des Neuen Testaments zugrunde gelegt worden.

Deutliche Eingriffe haben die Bibelrevisoren bei den Apokryphen, also den Texten, die nicht zum biblischen Kanon zählen, vorgenommen. »Bei allem Lob, das man Luther und seinen Mitarbeitern spenden muss, was das Alte und das Neue Testament angeht, bei den Apokryphen haben sie sehr viel weniger sorgfältig gearbeitet«, sagte Kähler.