"Wenn nicht Sie, wer dann?" Im September 2017 hatte ich mich bei einer Psychiaterin vorgestellt, die in der Region als Expertin für transidente Menschen galt. Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie zu diesem Ergebnis kam.

Ich war überrascht und erleichtert zugleich. Endlich jemand, der mich sieht. Der mein Ich sieht. Und trotz dieser Diagnose einer erfahrenen Ärztin brauchte es viele Gespräche, Gutachten und Geld bis ich endlich sagen konnte: Ja, das bin ich. Endlich ich!

Transidente Menschen: Immer wieder sich selbst erklären

Es ist die Grunderfahrung transidenter Menschen, dass sie sich auf ihrem Transweg immer und immer wieder erklären müssen. Dem persönlichen Umfeld, im Beruf und vor allem Ärzt*innen gegenüber. Immer wieder geht es darum, sich selbst zu erklären und darauf zu hoffen, dass das Gegenüber das genau sieht. Von diesen Gesprächen hängt alles ab: die Hormonersatztherapie, Übernahme von Operationskosten und vor allem die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde.

Vielleicht wäre ein Bluttest, eine Computertomografie hilfreich. Aber das gibt es keine eindeutigen Verfahren. Also bleibt als einzige Möglichkeit das Gespräch, die Selbstauskunft der Betroffenen und wie glaubwürdig andere diese Beschreibung einstufen. Es gehört zu den Grunderfahrungen transidenter Menschen, dass andere über sie entscheiden und urteilen, dass Menschen, die nicht selbst trans* sind, beurteilen können, was es bedeutet, trans* zu sein und dass davon ihr Leben abhängt.

Diese Art der Befragung ist eine Zumutung

Ich konnte und wollte mich nie daran gewöhnen, auf diese Art und Weise beurteilt zu werden und musste mich doch darauf einlassen. Um meine Geburtsurkunde mit Namen und Geschlechtseintrag zu ändern, forderte das Gericht zwei psychiatrische Gutachten, die ich selbst bezahlen musste. Man muss schon einige Denkschleifen drehen, sich nicht als Verbrecher vorzukommen.

Nun galt es, 45 Lebensjahre so zu erzählen, dass ich keinen Anlass zum Zweifel gebe. 99 Prozent aller Gutachten fallen positiv aus. Also wägte ich ab: Was berichte ich aus meinem Leben, was lasse ich weg. Ich war wohl immer überzeugend genug und doch ist diese Art der Befragung eine Zumutung.

Unser Autor Sebastian Klee

Sebastian Klee (51) arbeitet als Pfarrer in der Evang.-luth. Landeskirche in Braunschweig. 2019 erschien im Claudius Verlag seine Autobiografie "Endlich ich. Ein transsexueller Pfarrer auf dem Weg zu sich selbst".

Endlich ich. Ein transsexueller Pfarrer auf dem Weg zu sich selbst. 2019. Claudius Verlag. 160 Seiten. 18 Euro.

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12 bis 18 Monate dauerte das Verfahren vor Corona, inzwischen sind die Zeiten nicht kürzer geworden. 18 Monate in denen die Hormone ihre Arbeit machen, das Erscheinungsbild sich ändert, nur der Name in den offiziellen Dokumenten nicht. Wieder müssen sich transidente Menschen erklären, bei der Führerscheinkontrolle, der Bahncardkontrolle, am Flughafen, bei der Abholung eines Postpaketes:

"Das sind doch nicht Sie, sie haben den Ausweis ihrer Frau dabei!", ist noch die harmloseste Variante.

 Es brauchte mehr als 40 Jahre nach der Einführung des ersten Transsexuellengesetzes, in dem erstmals Regeln definiert wurden, nach denen eine Namensänderung stattfinden kann, bis sich eine Bundesregierung endlich dem Thema zeitgemäß annehmen wollte.

Manche sehen Gefahr, vor allem für Frauen

Was in mehreren anderen Ländern dieser Erde bereits üblich ist, soll nun auch in Deutschland gelten: Es genügt die Selbstauskunft der Betroffenen. Also nichts anderes als bisher auch, nur mit dem enormen Unterschied, dass es keine "peinliche Befragung" durch Psychiater*innen mehr braucht. Die Wartezeit wird erheblich verkürzt.

Nicht wenige sehen darin ein großes Gefährdungspotential, vor allem für Frauen. Männer würden sich mal eben als Frau bezeichnen, um dann in Schutzräume einzudringen, Gewalt auszuüben. Es wäre falsch zu behaupten, dass es diese Versuche nicht geben würde, so wie kriminelle Menschen immer Wege suchen, zum Ziel zu kommen. Eine Frist von drei Jahren vor einer erneuten Änderung kann mit Sicherheit einigen Missbrauch verhindern, genauso wie eine vereinfachte Plausibiltätsprüfung.

Und es wäre ebenso falsch zu behaupten, dass es nicht Menschen gäbe, die es bereuen, sich auf den Transweg gemacht zu haben. Oft sind das Personen, die schnell losgegangen sind, vielleicht zu schnell. Darum halte ich nach wie vor eine begleitende Beratung für sinnvoll. Und ich kenne viele, die das zu schätzen wissen, die das brauchen.

Begleitung ohne Gefährdung

Der Transweg stellt einen selbst und das Umfeld vor Herausforderungen. Und da ist es gut, mich selbst mit Fachpersonen reflektieren zu können, Unterstützung zu bekommen. Ich wünsche mir ein Selbstbestimmungsgesetz, dass diese Begleitung weiter für sinnvoll erachtet, ohne dass ich mir überlegen muss, was ich sage, um meinen Weg nicht zu gefährden.

Und ich wünsche mir eine Kirche, die transidente Menschen offen und selbstverständlich begleitet. Ich wünsche mir Christ*innen, die Gott zutrauen, dass die Schöpfung vielfältiger ist, als es auf den ersten Blick scheint.

"Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib gemacht habe".

Dieser Satz aus Psalm 139 wurde für mich auf dem Weg zu einem wichtigen Anker. Bevor Samen- und Eizelle verschmolzen, kennt mich Gott. Was dann unterwegs passiert ist, ist einfach passiert und es ist ok, dass ich die Möglichkeiten der Medizin ausschöpfe, Kopf und Herz und Körper in Einklang zu bringen.

 "Du bist ein Gott, der mich sieht", mit verschlungenen Lebenswegen und meinem wahren Ich. Kann es eine bessere Jahreslosung geben für das Jahr, in dem auch in Deutschland ein Selbstbestimmungsgesetz in Kraft tritt, dass die Menschen nicht beurteilt, sondern endlich sieht?