"Müssen wir im Jahr 2021 tatsächlich darüber reden, dass die Juden zu Bayern gehören?", fragte der Münchner Professor für Jüdische Geschichte, Michael Brenner, in seinem Vortrag zum Auftakt des Festjahrs "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" in Bayern.

Die Antwort scheint klar: Ja, und zwar ein ganzes Jahr lang. Daher hat der Freistaat ein eigenes Jubiläumsjahr ausgerufen, das mit zahlreichen Veranstaltungen die tiefe Verwurzelung der jüdischen Menschen mit der Geschichte Bayerns zeigen will.

Ministerpräsident Markus Söder: Alle jüdischen Bürger sollen sich hier zuhause fühlen

Mit einer Online-Feierstunde mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wurde es am Dienstagabend in München eröffnet.

Brenner beschrieb den uralten Zwiespalt der Juden als "Dazugehörige" einerseits und als "die anderen" andererseits. Ihre Geschichte zeige, dass man jahrhundertelang an einem Ort leben und trotzdem als Fremder wahrgenommen werden könne.

Söder erklärte, er wolle, dass Bayern das sicherste Land für Juden in Deutschland sei. Alle jüdischen Bürger sollten sich hier zu Hause fühlen.

Als Schirmherr des bayerischen Festjahrs forderte er eine klare Kante gegen Antisemitismus:

"Es darf keine Rolle spielen, ob ich ein Kreuz um den Hals trage oder einen Davidsstern", betonte Söder.

Für ihn gehörten jüdische Bauten genauso zum Stadtbild wie christliche Kirchen.

Doch das Übel Antisemitismus wachse wieder, sein Gedankengut breite sich aus, mahnte der CSU-Politiker. Daher halte er das Jubiläumsjahr für ein starkes Signal der Verbundenheit des Freistaats mit der jüdischen Gemeinschaft.

Zentralratspräsident der Juden in Deutschland, Josef Schuster: Judentum ist fester Bestandteil der deutschen Gegenwart

Auch Zentralratspräsident Schuster bezeichnete das Festjahr als "große Chance" zu zeigen, dass das Judentum fester Bestandteil der deutschen Gegenwart sei.

Denn so sehr Juden einst Kultur, Kunst und Wissenschaft in Deutschland prägten, so wenig wüssten viele heute über sie. Und selbst wer noch nie einen Juden getroffen habe, kenne antisemitistische Vorurteile. "Sie werden von Generation zu Generation weitergetragen - und sie halten sich umso besser, je weniger man über Juden weiß."

Im Jubiläumsjahr mit Gerüchten und Vorurteilen gegenüber dem Judentum aufräumen

Wenn in diesem Jahr quer durch die Gesellschaft gezeigt werde, wie bunt und lustig jüdisches Leben sei, wenn Juden nicht länger als fremd empfunden würden, dann könnten Gerüchte und Vorurteile ausgeräumt werden, wünschte sich Schuster.

Und dann könnte die "merkwürdige und ausgrenzende Unterscheidung" zwischen Deutschen und Juden endlich ad acta gelegt werden.

Antisemitismus ist aktuell auf dem Vormarsch 

Nicht nur Corona trübe die Feierstimmung des Jubiläums etwas, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Auch erlebten die Juden aktuell ein Land, in dem der Antisemitismus auf dem Vormarsch sei.

Dabei lebten sie seit 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands und hätten seither seine Geschichte mitgeschrieben. "Die Epoche der Juden in Deutschland ist nicht vorbei", betonte Knobloch und wünschte sich den Rückhalt der Mehrheitsgesellschaft.

Mehrere hundert Veranstaltungen sind für das Jubiläumsjahr geplant

Das Jubiläumsjahr wird in Bayern mit mehreren hundert Veranstaltungen gefeiert. Ein besonderes Projekt ist die Übergabe der ältesten Thorarolle Süddeutschlands: Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert aus Sulzbach-Rosenberg, wurde in Israel restauriert und soll nun wieder an die Kultusgemeinde Amberg übergeben werden.

Ein Schwerpunkt liegt außerdem auf den jüdischen Friedhöfen. Geplant ist, Grabinschriften abzufotografieren und wissenschaftlich auszuwerten.

Älteste bekannte Quelle über jüdisches Leben ist 1.700 Jahre alt

Das 1.700-jährige Jubiläum geht auf die älteste bekannte Quelle über jüdisches Leben auf dem Boden des heutigen Deutschlands zurück, die aus dem Jahr 321 aus Köln stammt. Die älteste bayerische Quelle stammt aus dem Jahr 981 aus Regensburg. Heute leben 18.000 jüdische Menschen in 15 Gemeinden in Bayern.

Ja, die Juden waren und sind ein Teil von Bayern, beendete Brenner seinen Festvortrag. Und dennoch seien sie noch etwas anderes: Sie sind Bayern und Juden.

Eines müsse nicht auf Kosten des anderen gehen, ist er überzeugt: "Multiple kulturelle Zugehörigkeiten sind kein notwendig zu akzeptierendes Übel, sondern ein Gewinn für jede Gesellschaft."