Es nervt. Das permanente "J-Wort". Das Bohei um die Tagesform der künftigen Jamaika-Koalitionäre.

Spannend wird es erst dann, wenn es ans Eingemachte, um die großen Linien geht. Denn unser Land braucht angesichts vielfältiger Verwerfungen in Politik und Gesellschaft nichts dringender als eine inspirierende, gemeinschaftsstiftende Zukunftsperspektive.

Eine neue Bundesregierung, ob nun Jamaika oder nicht, muss Antworten auf den um sich greifenden Nationalismus und Populismus, aber auch auf die digitale Revolution in einer globalisierten Welt geben. Sie sollte dabei in Abgrenzung zum Trump-Protektionismus der USA einen europäischen Gegenentwurf liefern.

Das betrifft die schon wieder fahrlässiger agierende Finanzwelt ebenso wie die Arbeitsmärkte, die durch den digitalen Wandel und den damit verbundenen Verlust industrieller Beschäftigung massiv umgekrempelt werden – vor allem zulasten Geringqualifizierter.

Herausforderung Digitalisierung

Schon jetzt muss man kein Jammerlappen sein, um trotz der derzeit guten Lage auf dem Arbeitsmarkt etwas Wasser in den Wein zu gießen. Immer noch viel zu viele Menschen sind in Leiharbeit oder nur befristet beschäftigt, und nicht wenige arbeiten im Niedriglohnsektor. Ohnehin hinkt die Lohnentwicklung in Deutschland der boomenden Wirtschaft seit geraumer Zeit hinterher.

Obendrein dann noch die im Vergleich mit Vermögen ungerechte Besteuerung von Arbeit und die Belastung durch hohe Sozialabgaben. So wird die Kluft zwischen Reichen und Armen zementiert.

Dazu kommt, dass durch die Digitalisierung die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit fließend geworden und die Zahl der psychisch Erkrankten aufgrund von Überbeanspruchung sprunghaft gestiegen ist.

Flexibilitätsbedingten Stress verursacht auch das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsstätte - mittlerweile auf Rekordniveau. Weil es gute Jobs oft nur in den Städten gibt, dort aber günstiger Wohnraum fehlt, und die meisten Pendler das Auto bevorzugen, wird auch die Umwelt immer mehr belastet.

Klimaschutz und Europapolitik

Alles Warnzeichen, die eine neue Bundesregierung alarmieren und zur Kurskorrektur in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik veranlassen sollte. Den Schalter jetzt schon umzulegen, ist allemal vonnöten. Denn mit fortschreitender Digitalisierung wird die ganze Wirtschaftswelt bald eine andere sein.

Durch den Verlust industrieller Beschäftigung im alten Stil wird der Arbeitsmarkt zugunsten von Technik- und Softwarespezialisten mehr und mehr umgekrempelt werden. Vor allem Geringqualifizierte könnten dann das Nachsehen haben, und die Ungleichheit bei den Einkommen würde sich weiter verschärfen. Umso wichtiger ist es, dass unser Bildungssystem endlich durchlässiger wird, damit Bildungsferne und Armut nicht familiär vererbt werden. Hier muss die Politik viel investieren. Dabei sollte sich die Politik nicht scheuen, endlich die vergleichsweise ungerechte Besteuerung von Arbeit und Vermögen anzupacken und zu korrigieren.

Ebenso sollte sich Deutschland in Sachen Klimaschutz wieder an die Spitze setzen und seinen aktuellen Rückstand bei der CO2-Reduzierung aufholen – dem Klimavertragsaussteiger Trump zum Trotz und den Umweltaktivisten in den USA zur Ermutigung. Klimaschutz muss ebenso wie fairer Handel zum Prüfstein globaler Gerechtigkeit werden.

Profilierung ist auch in Sachen Europa angesagt. Jetzt, wo Frankreichs Präsident Macron in Sachen EU-Zukunft mutig vorgeprescht ist, sollte ihm Deutschland beispringen und damit den Populisten und Nationalisten den Wind aus den Segeln nehmen.

Menschenrechte und Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung

Das gilt auch für die Flüchtlings- und Friedenspolitik. Europa darf nicht zu einer unmenschlichen Festung werden. Jeder Euro für friedensfördernde Entwicklungspolitik und gewaltfreie Konfliktbearbeitung ist allemal besser angelegt als für die von Trump geforderte weitere Aufrüstung im Rahmen der Nato.

Politik braucht Perspektiven. Breitbandausbau allein genügt nicht, um für mehr Gerechtigkeit in der digitalen Welt zu sorgen. Vorausschauende Arbeitsmarktpolitik muss schon heute sicherstellen, dass es künftig keine Verlierer des Strukturwandels gibt.

Viele Herausforderungen also, die sich bündeln lassen in einem Deutschland, das für Menschenrechte und Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung steht.

Das ist auch im Interesse unserer aktuell wieder mehr beachteten Kirchen. Es wäre bestimmt nicht von Schaden, würden diese sich jetzt nicht nur in der Flüchtlingsfrage mit einer theologisch fundierten Richtungsanzeige für eine verantwortliche, konsensfähige Politik zu Wort melden.