Morgens mit dem Roller ein paar Mal um die Ecken flitzen: So beginnt für viele drei- bis sechsjährige Steppkes ein ganz normaler Kindergartentag. Die Tasche mit der Brotzeitbox über der Schulter und von der Mama oder dem Papa begleitet, gehen die Mädchen und Jungen von Montag bis Freitag einem weiteren sorglosen Tag in der Kindheit entgegen.
Die Kindergartenkinder im "Fuchsbau" in Schirnding legen teils weite Strecken zurück, um im Bau der Kinderträume anzukommen. Manche fahren dabei sogar über die Grenze. Der evangelische Kindergarten in Schirnding ist ein deutsch-tschechischer. Etwas versteckt, mit einer Zufahrt steil den Berg hinauf, liegt der Garten inmitten einer grünen Oase und neben einer Pferdekoppel. Wer nach Fahrplan aus dem Fenster sieht, entdeckt die Eisenbahn auf der Schiene, wenn sie vorbeifährt.
Eger - Schirnding
Von den 60 Kindern, die in den Hort, die Vorschule, die Kindergartengruppen oder die Krippe gehen, sind zwölf aus Tschechien. Einige haben türkische, griechische oder chinesische Eltern. Inge Lieb, Vorsitzende des Diakonievereins, dem Träger des evangelischen Kindergartens, und Katrin Chrunsc, Leiterin der Tagesstätte, sehen in dem Multikulti eine Bereicherung. Und zwar für alle. "Die Nachfrage, vor allem von tschechischen Eltern, war von Anfang an groß", erzählt Katrin Chrunsc.
Von Eger nach Schirnding sind es zwölf Kilometer, laut Routenplaner gerade 14 Minuten. Vasik, Sohn der Bürgermeisterin in Hazlov, wird 20 Kilometer gefahren. Zweiundzwanzig Minuten und einmal über die Grenze. Nach den Sommerferien wird er in Schirnding die Grundschule besuchen - und im Fuchsbau den Hort. Den Wochenrhythmus ist er gewohnt: Als Kindergartenkind sang er Lieder in deutscher und tschechischer Sprache, bastelte in der Holzwerkstatt und ging bei gutem Wetter am Donnerstag in den Wald. Die Namen der Tiere und Pflanzen lernte er auf Deutsch und in seiner Muttersprache.
Vorurteilsfreie Erziehung
Den Tagesablauf von Jolina, Junyi, Ayas, Nisa, Lilly, Nicki und allen anderen legt am Vormittag um 10.30 Uhr ein lieb gewordenes Ritual fest. Im Stuhlkreis sprechen die Kinder ein Gebet und hören einen religiösen Impuls. Manchmal wird eine Geschichte vorgelesen. Eines der Lieblingsbücher in der Ringstraße 1 in Schirnding erzählt von einer kleinen Katze, die erst im Baum sitzt und dann, mit dem Baum als Boot, auf dem Fluss treibt. Die anderen Tiere springen dazu. Selbst die Maus, die lange zögert. Nur den Fuchs will niemand im Boot haben. Schließlich darf er doch auf dem Baumstamm mitfahren und wird zum großen Gewinn. Als nämlich die Tiere an Land wollen, hat er die rettende Idee, mit den Schwänzen zu paddeln.
"Wir hören die Geschichte immer wieder gern, weil sie zeigt, dass niemand ausgeschlossen werden soll", so Katrin Chrunsc. Die Erziehung und Bildung im Multikulti-Kindergarten soll vorurteilsfrei sein. Die Gefühle anders Denkender würden ernst genommen. Vertrauen könne entstehen und soziale Beziehungen geben über Sprachbarrieren hinweg in den ersten Jahren Sicherheit. Im Vordergrund stehe auch das Leitbild der christlichen Nächstenliebe: Konflikte würden fair und kompetent bewältigt.
Bilinguales Lernen
Dann zeigt Katrin Chrunsc auf die Elternpost. Eine Einladung zum Familien-Kindergartenausflug nach Eger ist darin zu finden. Die Kindergartenleiterin will Ausflugsziele östlich von Schirnding erschließen. "Wir können von hier aus seit der Grenzöffnung in vier Himmelsrichtungen fahren." In Tschechien gebe es Schönes zu entdecken, viele der Eltern wüssten aber die Ziele nah der Heimat nicht. Diesmal soll es auf die Gartenschau in Eger gehen und in den Hochseilgarten.
Bis zur Schulzeit lernen die Schirndinger Kindergartenkinder die Farben, Zahlen und die Kleidung in beiden Sprachen. In Kleingruppen wird intensiv, aber spielerisch tschechisch gesprochen. "Bei den gemeinsamen Mahlzeiten nennen die Kinder in jeweils ihrer Sprache, was sie auf dem Teller haben." Bei Familiengottesdiensten, dem Laternenumzug und dem Abschlussgottesdienst für die Schulkinder sind ebenfalls beide Sprachen zu hören. Musik und Rhythmus sind zwei elementare Bausteine - im Alltag und bei Festen des Kindergartens.
Freundschaften auch unter Eltern
Im Beirat des Kindergartens vertreten deutsche wie tschechische und türkische Mütter und Väter das gemeinsame Interesse, die Kinder gefördert aufwachsen zu sehen. Was zwischen Legosteinen begonnen hat, kann vielleicht ein Leben halten: Valentin aus Schirnding und Robin aus Eger sind längst Freunde. Theresa aus Marienbad und Linda aus Hohenberg bauen Würfel aus Pappkarton und benutzen sie als Prinzessinnenhütchen. Nisa, ein türkisches Mädchen aus Schirnding, holt das Geschirr aus der Puppenküche, um mit den Kindergartenfreundinnen zu spielen. Junyi, ihre Mama ist Chinesin, formt mit Jolina und Ayas Männchen aus Knetmasse.
Das Geld, mit dem die Oberfrankenstiftung und der Zukunftsfond "Frühe Chancen" den Fuchsbau unterstützen, scheint gut angelegt. Die Partnerschaft mit einem Kindergarten in Eger bezeichnen Inge Lieb und Katrin Chrunsc als Glücksfall. Spätestens zum deutsch-tschechischen Fest auf dem grünen Hügel hinter dem "Fuchsbau" sehen sich alle wieder, auch die Ehemaligen. Die Beziehungen, über Grenzen hinweg und an der Bahnschiene entlang entstanden, sie prägen eben doch.