Sammelalben mit Bildern von Fußballern oder Stars aus TV und Radio gibt es heute zuhauf – vor 400 Jahren legten sich in Augsburg die Bürgerinnen und Bürger aber regelmäßig gedruckte Bilderserien ihrer Stadtpfleger zu. So hießen damals die Bürgermeister, die es jahrhundertelang im konfessionellen Doppelpack gab.
Wolfgang Mayer wusste: Irgendwo müssen sie sein, die alten Kupferstiche, die immer dann angefertigt wurden, wenn ein neuer Stadtpfleger sein Amt antrat und die 1624 erstmals in einem dünnen Heftchen, im Verlag und auf Kosten des bedeutenden Augsburger Kupferstechers Lucas Kilian herausgegeben wurden, der darin sämtliche seit 1548 amtierenden Stadtpfleger mit aufwändigen Porträts und Kurzbiografien vorstellte. "In 38 Jahren Dienstzeit habe ich wahrscheinlich 80 Prozent unseres gesamten Bestandes schon mal in den Händen gehabt", sagt der Bibliothekar, der zwar mittlerweile im Ruhestand ist, aber zum 400. Jahrestag des Erscheinens der ersten Ausgabe des Büchleins noch einmal einen Treffer landen wollte.
Glücksfund in Kiste
Er sollte Glück haben: In einer Kiste fand er 23 originale Druckplatten, die bis zum Jahr 1806 entstanden waren – dann machte die bayerische Übernahme der Stadt Augsburg der Stadtpfleger-Tradition ein Ende. "Und auch die Kupferstecherei hatte sich überholt", weiß Bibliotheksleiter Karl-Georg Pfändtner. Spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts seien allerorts die städtischen Granden in Pastell gemalt worden.
Seit längerer Zeit schon wird die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg renoviert. Die Kupferstiche seien nicht zuletzt im Zuge der Aufräumarbeiten aufgetaucht. "Wie die Platten in unser Archiv gelangt sind, weiß heute keiner mehr so genau. Ich wusste aber immer, dass sie da sind", erklärt der Kurator der Ausstellung "Reichsstädtische Macht in Kupfer". Und wo die 20 anderen originalen Stiche sich befinden oder überhaupt noch erhalten sind, ist ungewiss. Immerhin sind die Bücher in deutschen und lateinischen Ausgaben oder auch mal im Taschenbuchformat allesamt noch vorhanden.
Auf den ersten Blick ist die mehrfach und in verschiedenen Formen herausgegebene, in Kupfer gestochene Bildergalerie der die Geschicke Augsburgs lenkenden Persönlichkeiten eine Aneinanderreihung von Portraits städtischer Amtsdiener, heute vergleichbar dem Amt eines Oberbürgermeisters. Die kunstvollen Stiche warten dabei mit zahlreichen Details wie Wappen auf, aus denen sich eine ganze Genealogie von teils bis heute in und um Augsburg lebenden Familien nachvollziehen lässt.
Konfessionelle Gleichberechtigung
Blickt man allerdings hinter die Geschichte dieser Namen, erfährt man vieles über einen für die Stadt Augsburg typischen Umgang mit den Themen Konfession und Gleichberechtigung. Mayer verweist auf die bereits im 12. Jahrhundert nachweisbare Tradition des Duumvirats, der aus dem alten Rom stammenden Herrschaft zweier Männer, die sich wie auch in anderen größeren deutschen Städten anfangs aus der sozialen Oberschicht der Patrizier nährte, ab 1368 nach der "Zunftrevolution" um Vertreter des Handwerks erweiterte und mit dem Einzug der Reformation in Augsburg paritätisch besetzt wurde. "Es wurde penibel darauf geachtet, dass die beiden Männer jeweils von katholischer wie evangelischer Seite kamen", berichtet Mayer.
Dass Kaiser Karl V. 1548 mit seiner Verfassungsreform alles Protestantische tilgen wollte und die Stadtpfleger nun für rund 100 Jahre rein katholisch waren und den Wirren des Dreißigjährigen Krieges mit dem "Restitutionsedikt" Ferdinands II. von 1629, fand spätestens mit dem Westfälischen Frieden von 1650 ein Ende. Fortan wurde das Amt des Stadtpflegers paritätisch besetzt – bis zum Ende. Um nicht nur den Gleichklang der Konfession hinzukriegen, sondern auch noch die patrizische Herkunft der Anwärter zu sichern, wurden eigens 28 Familien in den Stand erhoben. Und nicht nur dieses: "Bis in die kleinste Einheit der städtischen Verwaltung wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen evangelischen wie katholischen Mitarbeitern geachtet", weiß Mayer.
Amt auf Lebenszeiten
Die Stadtpfleger führten ihr Amt auf Lebenszeit aus. Alle paar Jahre fand das Buch eine Neuauflage. Darin neben den Kupferstichen Kurzportraits der ehrenwerten Herren. Unter denen war mit Markus Welser (amtierte von 1600 bis 1614) beispielsweise ein Humanist, der im engen Austausch mit Galileo Galilei oder dem aus Gunzenhausen stammenden Astronomen Simon Marius stand. Oder Johann Melchior Ilsung, der die Schulschwestern der Congregatio Jesu in die Stadt brachte.
Karl-Georg Pfändtner blickt mit Zuversicht auf das Jahr 2027, wenn die Renovierung der Bibliothek abgeschlossen sein soll. "Mal sehen, was wir bis dahin noch in unseren Archiven finden. Solche Schätze zu heben, das macht unsere Arbeit doch auch mit aus", ist er überzeugt. Die nächste Ausstellung, die sich mit Zeichnungen des sagenumwobenen Urvogels "Dodo" befasst, ist jedenfalls schon in Planung.
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