Herr Erlinger, wie sensibel muss man in Liebesdingen sein?

Rainer Erlinger: Zunächst könnte man an das alte Sprichwort denken: "Im Krieg und in der Liebe sind alle Tricks erlaubt." Man muss aber umgekehrt sehen, dass man in Liebesdingen besonders verwundbar ist. Deswegen ist ein guter Umgang miteinander sehr wichtig. Zudem besteht die Gefahr, wenn man langjährige Beziehungen ansieht, dass der Respekt verloren geht. Ich habe den Ausdruck dafür geprägt, dass der Partner zum Möbelstück im Leben des anderen verkommt.

Am Anfang ist das noch anders. Da sind Schmetterlinge im Bauch – ein Gefühl, das sich der Moral entzieht?

Erlinger: Die Liebe selbst ist nur sehr eingeschränkt der Moral zugänglich. Dennoch: Man kann sich einem Gefühl hingeben, es nähren. Oder man kann ein Gefühl auch ein bisschen trockenlegen. Dann vermeidet man Situationen, in denen das Gefühl verstärkt wird.

Ein Mann verliebt sich in eine Frau, die schon in einer Beziehung lebt. Wie weit darf er gehen?

Erlinger: Ein Mensch gehört dem anderen nicht. Das mag mit manchen Glaubensvorstellungen nicht übereinstimmen, aber der Mensch bleibt frei, auch wenn er sich in eine Beziehung begeben hat. Insofern ist es nicht etwas absolut Böses, wenn man sich für jemanden interessiert, der in einer Beziehung ist.

Andererseits bin ich der Meinung, dass eine Beziehung den beiden in der Beziehung gehört.

Deswegen kann jeder der beiden diese Beziehung auch verlassen und aufkündigen. Es kann ja sein, dass man nach vielen Jahren merkt, dass nichts mehr da ist oder es wandelt sich sogar in Hass um.

Und wie viel darf derjenige, der versucht in eine andere Beziehung einzudringen?

Erlinger: Wenn jemand von außen kommt und versucht, eine Beziehung aufzubrechen, dann halte ich das für einen aggressiven Akt, den ich nicht für richtig halte. Man kann zeigen, dass man Interesse hat, aber mit massiven Tricks eine Beziehung zu zerbrechen, das halte ich für falsch.

Kennenlernen passiert häufig über Dating-Portale. Da werden die guten Seiten rausgekehrt. Ist das schon Lüge?

Erlinger: Wer glaubt, auf einem Dating-Portal einen Menschen zu treffen, der keine negativen Eigenschaften hat, dem kann man auch nicht mehr helfen. Man muss wissen, das ist ein Spiel, und zum Liebesspiel gehört, dass man sich positiv darstellt. Das ist wie bei der Balz im Tierreich. Anlocken kann man besser mit einem Zuckerl als mit etwas Bitterem.

Wie ehrlich sollte man in einer Beziehung sein?

Erlinger: Absolute Ehrlichkeit ist zwar ein hoher Wert, aber er sollte nicht zum Selbstzweck werden und es sollte vor allem nicht zur Spielwiese desjenigen werden, der diese Ehrlichkeit benutzt, um sich selbst uneingeschränkt ausleben zu können.

Andererseits ist es aber so, dass man in einer Beziehung Vertrauen und auch Offenheit braucht.

Es gibt auch unschöne Dinge, die man in einer Beziehung ansprechen sollte. Das Entscheidende ist, dass es aufbauend sein sollte.

Ab wann ist Eifersucht gefährlich?

Erlinger: Da würde ich auf die antike Ethik bei Aristoteles zurückgreifen. Danach gilt der goldene Mittelweg: Nichts allzu sehr! Theoretisch ist es so, dass man nicht eifersüchtig sein sollte, weil die Liebe nicht besitzen wollen sollte, und vertraut. Aber in der Praxis ist das fast nicht umsetzbar. Die Idee, dass etwas das Wichtigste in meinem Leben ist und ich keine Angst davor habe, es zu verlieren: Da muss man Heiliger oder Zen-Meister sein.

Wie ernst sind Liebesschwüre?

Erlinger: In der antiken Ethik gibt es die schönsten Texte über die Liebe in Platons "Symposion". Da heißt es: Der einzige Schwur, bei dem man Verzeihung vor den Göttern findet, wenn man ihn bricht, ist der Liebesschwur, denn der ist kein echter Schwur. Liebe ist ein Gefühl, und wenn man ehrlich ist, kann niemand das Gefühl von morgen garantieren. Man kann schwören, man werde sich bemühen. Man kann aber nicht garantieren, dass das Gefühl bleibt. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass das ein großes Wort ist zu sagen: "Ich liebe dich und schwöre es dir" und damit nicht leichtfertig umgehen.

Fremdgegangen: Sagen oder nicht?

Erlinger: Ich glaube, dass ein Unterschied besteht zwischen einem unbedacht begangenen einmaligen Ausrutscher und einem längeren Fremdgehen. In vielen Beziehungen gibt es das "Don‘t ask, don‘t tell". Wir sollten es nicht tun, aber wenn es passiert, sag es mir lieber nicht, ich will nicht unsere Beziehung, die mir viel wert ist, dadurch gefährden, dass da etwas passiert ist.

Warum wird bei Trennungen oft das Schwarze-Peter-Spiel gespielt?

Erlinger: Das liegt an den Verletzungen. Liebesentzug ist psychologisch mit das Schlimmste und Kränkendste, was einem passieren kann. Auch das Zurückweisen der Liebe wird als extreme Kränkung erlebt. Das führt zu Dingen wie Selbstwertverlust, aber auch zur Wut des Gekränkten und dann zum Hass.