Über 336 Seiten und mit 170 farbigen Abbildungen begleitet der Katalog aus dem Münchner Hirmer Verlag diese Ausstellung – er ist eine elegante Brücke zwischen Sehen und Denken, Bild und Sprache, Ausstellung und Erinnerung. Der Katalog wirkt nicht wie ein Nachklapp, sondern wie ein integraler Bestandteil der Inszenierung: Die Klappenbroschur und die zweisprachigen Texte (Deutsch / Englisch) machen ihn gleichermaßen zu einem Sammlerstück und einem Arbeitsinstrument.

Schon auf der zweiten Umschlagklappe spricht der Katalog von „Angst als universeller Emotion“ – sie sei nicht bloß Reaktion, sondern „wesentliche Konstante des Lebens, Antrieb und Energiespender“. In den Beiträgen der Herausgeberinnen und Herausgeber – Kerstin Drechsel, Diana Kopka, Florence Thurmes und Sina Tonn – verbinden sich biografische Zugänge und kunsthistorische Perspektiven, und das Bildprogramm folgt konsequent dem Ausstellungsgang: von frühen grafischen Arbeiten über zentrale Gemälde wie „Der Schrei“, „Vampir“ oder „Die Einsamen“ bis zu Gegenwartsbezügen – illustriert in teils ganzseitigen Reproduktionen.

Auf den anspruchsvoll gestalteten Seiten entfalten sich die Hintergründe zu den Leihgaben, die zahlreichen Abbildungen, Querverweise und Essays: ein dichtes, sorgfältig komponiertes Geflecht aus Bildlichkeit und Erklärung. Der Verlag spricht selbst davon, dass dieser Katalog „dem Ausstellungsthema in allen Facetten folgt“ und den Rollen der Angst in Munchs Gesamtwerk nachspürt.

Und es gibt Hinweise darauf, dass manche Ausgaben geringfügige Unterschiede aufweisen: Einige Händler nennen 352 Seiten, andere geben 336 Seiten an, stets mit 170 Abbildungen in Farbe und dem Format 19,5 × 25,5 cm. Dies mag auf unterschiedliche Ausgaben (z. B. erweiterte Vor- oder Nachworte) zurückzuführen sein, ändert aber nichts am eindrucksvollen visuellen Potential dieser Publikation.

Für Leserinnen und Leser, die nicht in den Kunstsammlungen Chemnitz vor Ort sein können, ist der Katalog eine Einladung ins Ausstellungsuniversum: Er gestattet, die Gänge erneut abzuschreiten, Bilder zu betrachten, Details zu studieren – und sich mit den Gedanken hinter den Werken zu beschäftigen.

Andy Warhols Version des berühmten "Schrei" ist auch in der Schau zu finden.
Andy Warhols Version des berühmten "Schrei" ist auch in der Schau zu finden.

Ein zentraler Moment in Munchs deutscher Präsenz war der sogenannte Fall Munch – kein tatsächlicher Affären-Skandal in München, sondern das Resultat seiner ersten großen Ausstellung in Berlin 1892, die mit heftiger Ablehnung endete. Sein Mut, radikale Gefühle sichtbar zu machen, traf auf ein Kunstsystem, das nach Ästhetik, Harmonie und Vertrautheit verlangte. Doch genau diese Konfrontation wurde zum Ausgangspunkt seines Weges in Deutschland, als er nach und nach Netzwerk, Anerkennung und Wirkung gewann.

Ein anderer Bezugspunkt ist jedoch real und direkt: Im Jahr 1905 folgte Munch der Einladung des reichen Textilunternehmers Herbert Eugen Esche nach Chemnitz. Dort schuf er Porträts der Familie Esche und das Landschaftsbild "Blick aufs Chemnitztal" – Werke, die in der Ausstellung prominent vertreten sind Besonders bewegend: "Zwei Menschen. Die Einsamen" (1906–1908) kehrt nach fast 90 Jahren aus einer US-amerikanischen Leihgabe nach Chemnitz zurück. Dieses Bild war einst Teil der Städtischen Sammlung und wurde zur Zeit des Nationalsozialismus veräußert. (Es galt als "entartet" und verschwand aus den Museen.)

So ist die Ausstellung nicht nur ästhetisch, sondern historisch verankert: Sie zeigt, wie Munch in Chemnitz Spuren hinterließ, wie sein Werk in der Region aufgenommen wurde, wie Kunstpolitik und Exilgeschichte sich schneiden. Der Katalog spürt diesen Knotungen nach, bezieht die lokalen Beziehungen ein und öffnet den Blick zugleich auf die universelle Dimension von Angst und Verletzlichkeit.

Eingebettet in Werke von Warhol bis Baselitz

In der Chemnitzer Ausstellung "Edvard Munch. Angst" wird das Werk von Munch nicht isoliert präsentiert, sondern in Dialog gesetzt mit Zeitgenössischen Künstler, die Themen wie Angst, Einsamkeit, Krankheit oder Verlust reflektieren. Zu ihnen zählen Andy Warhol, Neo Rauch, Georg Baselitz, Karl Schmidt-Rottluff, Marina Abramović, Monica Bonvicini, Irene Bösch, Michael Morgner, Osmar Osten, Paula Rego und andere. Ein konkretes Beispiel: Neben dem berühmten Lithografie-Motiv "Der Schrei" von Munch aus dem Jahr 1895 wird auch Andy Warhols The Scream (After Munch) von 1984 gezeigt. Damit entsteht ein Bild-Dialog: Wie der Ausdruck "Angst" ikonisch in den 1890er Jahren begann und wie er dekonstruiert und transformiert wird im 20. Jahrhundert. Warhol reinterpretiert nicht nur das Motiv, sondern reflektiert auch die Modernitätsgeschichte, Popästhetik und Wiederholung im Zeitalter der Massenproduktion.

Das in Chemnitz entstandene Portrait des Textilunternehmers Herbert Eugen Esche wird während der Führungen auch gezeigt.
Das in Chemnitz entstandene Portrait des Textilunternehmers Herbert Eugen Esche wird während der Führungen auch gezeigt.

Das Bild „Vampir“ ist ein weiterer Schlüssel: Seine Ursprungsbezeichnung „Liebe und Schmerz“ verrät, wie Munch intime Beziehungen, leidenschaftliche Sehnsucht und die Furcht vor Verlust in einer dramatischen Geste verschränkte. Der Katalog führt in Essays zurück zur Frage, wie Munch seine biografischen Erlebnisse – sein Ringen mit Liebe, Verlust, Schuld – in Form und Symbolik umsetzt.

Ein weiteres Bild, „Blick aufs Chemnitztal“ (1905), wurzelt unmittelbar im Chemnitzer Aufenthalt. Als Leihgabe aus der Herbert Esche Stiftung zeigt es Landschaft und Atmosphäre – Dieses Werk fungiert in der Ausstellung als lokal fokussierter Anker, der die Reise von Munch in die Region rückverbindet.

So entsteht im Zusammenspiel von Worten und Bildern eine dritte Ebene: nicht allein Kunstbetrachtung, nicht allein Text, sondern ein Erlebnisfeld, in dem die Basiserfahrung der Angst poetisch erschlossen wird.