Zuallererst: Die familiäre, lockere Atmosphäre dieses Musikfestivals hat sich seit seinen Anfangstagen erhalten. Immer noch ist das Gelände überschaubar, trotz teils Massenansturms bei den Headlinern, die in diesem Jahr unter anderem der deutsche Rapper Alligatoah, die US-amerikanische Punk/Hardcore-Band Rise against oder die deutsche Electro-Gruppe Deichkind waren. Dass sich am Hang der Eiswiese Tausende Fans tummeln und einen hervorragenden Blick auf die Hauptbühne genießen können, nimmt unheimlich viel Druck aus dem Andrang. Und das hin und her Wallen zwischen ihr und der "Sounds for nature"-Bühne gehört schon lange zu den regelmäßigen Bewegungen, bei denen die müden Knochen ausgeschüttelt werden können.
Die Mischung aus deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern sowie international bekannten Acts ist immer noch genauso stimmig wie Ende der 1990er-Jahre – mit klarem Fokus auf einheimische Gruppen und Wiederholungstäter, wie die Berliner Party-Punks Beatsteaks, die am Freitag die Massen fest im Griff hatten. In Rothenburg hatte die Band einst eine Aktion mit dem Publikum etabliert, die seither zum festen Bestandteil einer Show gehört – alle knien sich hin und eskalieren auf Kommando beim Hochspringen.
Immer wieder finden sich auf dem Spielplan Größen von morgen – einst hatten Bands wie Wir sind Helden in Rothenburg auf einer Newcomer-Bühne ihre ersten größeren Auftritte gefeiert. Dieses Jahr mag es die österreichische Pop-Sängerin Esther Graf, die eventuell bald zu größerem Ruhm kommen könnte. Bei ihrer energiegeladenen Vorstellung war sie vom Besucherandrang selbst so überrascht, dass sie sogar zum Bilden eines Moshpits aufrief – ungewöhnlich für eher leichte Pop-Klänge, aber sichtbar effektiv.
Metal trifft auf Pop trifft auf Rap
Die härteste Band des Festivals waren zweifellos die schwedischen Death-Metaller Throne of Roaches, die über den internationalen Nachwuchswettbewerb Emergenza einen kleinen, halbstündigen Slot erhielten und dabei alles gaben. Da mussten die sich US-amerikanische Punk-Rocker Zebrahead im Anschluss gehörig anstrengen, schafften es aber mit einer selbstironischen Darbietung mühelos, die Leute in Wallung zu bringen.
Neu in diesem Jahr war das "Awareness"-Programm: Wer sich während des Besuchs des Festivals belästigt oder bedroht fühlt, konnte diskret auf spezielle Personen zugehen, die den Aufkleber "ICH HELFE DIR" sichtbar auf ihrer Kleidung trugen. Mit dem Sprechen des Codeworts "Panama" oder der Frage "Wo geht’s nach Panama?" wurde man an einen ruhigeren und sicheren Ort begleitet.
Der Altersdurchschnitt beim Taubertal Festival scheint zu wachsen. Immer mehr Fans sind in den Reihen zu finden, die eventuell schon seit den ersten Jahren mit dabei sind und die drei Tage nach wie vor fest im Jahreskalender stehen haben – dann vielleicht nicht mehr mit dem Ziel, die Nacht zum Tage zu machen und durchzufeiern, aber immerhin noch sich eine gehörige Portion Party abzuholen.
Und: Waren es früher in erster Linie Plastikbecher mit Bier, die in den Händen der Besucherinnen und Besucher zu finden waren, scheint sich das Publikum mittlerweile zunehmend stilvoll mit einem Aperol Spritz zu versorgen – das wäre noch vor wenigen Jahren auf einem Festival verpönt gewesen.
Doch auch das gehört zum Open Air im Taubertal – ebenso wie der Stand einer Krankenkasse oder von "Viva con Agua", die sich für einen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzen, nebst einem Zigarettenfabrikanten als Sponsor. Vielfalt, wie sie sich auch im Publikum widerspiegelt, wo schon mal ausgefallene Riesenhüte, Feen-Kostüme oder Matrosenuniformen getragen werden – und niemand schüttelt ernsthaft mit dem Kopf.
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