Eigentlich hatte sich Michael Riedel als Kantor in Frankfurt gut eingelebt. Doch dann war da diese Stellenausschreibung. "Wenn man einigermaßen ambitioniert ist als Kirchenmusiker, bewirbt man sich auf St. Lorenz", ist der 40-Jährige überzeugt. Im Februar wurde er als neuer Lorenzkantor eingeführt.
12.156 Pfeifen, 157 Register, verteilt auf drei Orgeln, die eine Gesamtanlage bilden: Die Orgel von St. Lorenz ist die größte evangelische in Deutschland, die Gemeinde mit ihrer reichen musikalischen Tradition und selbst schon berühmt gewordenen Ensembles wie ihrem Bach-Chor eine außergewöhnliche im gesamten Bundesgebiet, die Kirche als Weihe-Ort des bayerischen Landesbischofs eine besondere. "Sogar die Künstliche Intelligenz spuckt St. Lorenz als Treffer aus, wenn man sie nach den bedeutendsten Musikerstellen in Deutschland fragt", lacht Riedel. Im Sommer vergangenen Jahres konnte er sich gegen 20 Bewerber durchsetzen.
Er war gerade in den 1990er-Jahren als Windsbacher Sängerknabe regelmäßig hier, verdrückte lugte mit den anderen Buben oben auf der Orgelempore vor dem Singen noch den ein oder anderen Hamburger mit Pommes – eine der weniger bekannten "Windsbacher Traditionen" – und lugte runter zu Matthias Ank, der an der Orgel saß. "Dass ich einmal sein Nachfolger werden würde, hätte ich mir da nie träumen lassen", so Riedel nachdenklich.
Anfänge in Baudenbach bei Neustadt/Aisch
Überhaupt war der Weg zur neuen Stelle in Nürnberg von vielen Zufällen und Begegnungen beeinflusst. Zwar war die Familie Riedel in der kleinen Marktgemeinde Baudenbach bei Neustadt/Aisch, wo Michael aufwuchs, schon musikalisch und Mama Tanja spielte und spielt auch heute noch die Orge in der Lambertskirche. Flöten-, Klavier- und Akkordeonunterricht seien für den Heranwachsenden aber eher eine "ganz normale" Beschäftigung gewesen – angetan hatte es ihn da eher der Gesang und die Windsbacher, die er mal im Fernsehen gesehen hatte. So überzeugte der 11-Jährige Michael seine Eltern eines Tages, doch mal zu einem Vorsingen zu gehen – und er wurde genommen.
Im Internat in Windsbach bezog er dann ausgerechnet das Zimmer, von dem aus man einen direkten Zugang zur Orgel im Betsaal hat. Neben dem Gesang ging es auch nun öfters an die "Königin der Instrumente". Helmut Duffe gab ihm die ersten Unterrichtsstunden an der Orgel, später bildete er sich weiter beim Ansbacher Kantor Andreas Schmidt. "Da hatte ich dann die Orgel für mich entdeckt. Und irgendwann war auch klar, dass ich nach dem Abitur kein anderes Studium mehr beginne, sondern Profimusiker werden will", sagt Riedel.
Daneben musste noch der Zivildienst absolviert werden, wofür Riedel ans Caritas-Pirckheimer-Haus nach Nürnberg ging. Musikalisch ging es aber jetzt Schlag auf Schlag: Zuerst an die Hochschule für Musik nach Bayreuth, dann weiter an die Musikhochschulen Düsseldorf und Köln sowie dann Bad Godesberg, bevor er 2013 Kantor in Frankfurt wurde. Dort lebte er bis vor kurzem zusammen mit seiner Frau, ebenfalls Kirchenmusikerin, ab sofort in der Nürnberger Innenstadt, nahe der neuen Wirkungsstätte.
Traumjob gefunden
Hier waren seit dem Zweiten Weltkrieg nur drei Kantoren aktiv – was noch einmal unterstreicht, dass St. Lorenz für Kirchenmusiker eine Art Traumjob ist. "Das liegt aber nicht nur an der Kirche und dem Instrument, das liegt auch an der breiten Palette dessen, was hier musikalisch möglich ist", meint Riedel. Denn neben der klassischen Chor- und Orgelarbeit, auf die er sich sehr freue, stehe St. Lorenz eben auch für das Experiment, das nahezu Grenzenlose und vor allem für den Anspruch. "Und gerade das reizt mich, dass ich mich hier einerseits entfalten kann, aber eben auch hohe Erwartungen da sind", ist er überzeugt.
Denen will Riedel freilich genügen. Sein erstes Chorkonzert knüpft zufälligerweise an das letzte Konzert seines Vorgängers an: Am 24. Mai trifft Georg Friedrich Händels Ode zu Ehren der heiligen Cäcilia, das "Alexanderfest" (Alexander’s Feast), auf live generierte, elektronische Musik und Orchesterklänge bei einer Uraufführung des 1987 geborenen Komponisten Tobias Tobit Hagedorn. Das vor Energie sprühende Chorwerk ist eine lebensbejahende Ode zu Ehren der heiligen Cäcilia und war zu Lebzeiten eines der beliebtesten Werke Händels überhaupt. Es erzählt eine Episode aus der höfischen Welt Alexanders des Großen: Held ist nicht, wie der Titel vermuten lässt, der Herrscher selbst, sondern der Sänger Timotheos, dem es mit seinen Gesängen gelingt, Alexander in ein Wechselbad der Gefühle zu stürzen. Mit dem Vokalensemble St. Lorenz musizieren das junge Ensemble "Nürnberg Barock" und als SolistInnen konnten die Barock-SpezialistInnen Marie-Sophie Pollak (Sopran) und Christian Rathgeber (Tenor) sowie Uwe Schenker-Primus (Bass) gewonnen werden – die Sänger sind im Übrigen beide ehemalige Windsbacher Knaben.
Einen Wehmutstropfen gibt es aber noch: Die Hauptorgel der Lorenzkirche muss umfassend saniert werden. Daher ist die Pfingstmatinée (9. Juni) ist ein vorläufiges "Abschiedskonzert", bei der Riedel die Nürnberger Altstadtorganisten eingeladen hat.

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