Die historische Kulisse der Lorenzkirche, ausgestattet mit einer der größten Orgelanlagen Deutschlands – die größte evangelische in ganz Deutschland – , bot den idealen Rahmen für dieses musikalische Ereignis. 12156 Pfeifen in 157 Registern, verteilt auf drei Orgelanlagen – das bietet Raum für schier unzählige Klangvariationsmöglichkeiten.

Der 44-Jährige Orgelprofessor Vincent Dubois ließ in einem rund zweistündigen Konzert einen dynamisch wie klanglich äußerst vielfältigen Kanon davon erklingen. Verbunden mit dem gezielten Einsatz des Schwellwerks wurde der gesamte Raum von Laut bis Leise dabei ausgenutzt, sodass die Besucherinnen und Besucher zwischen "mucksmäuschenstill zuhörend" bis "vom Bombast ergriffen" einen Parforce-Ritt der Gefühle erlebten.

Von Bach bis zu den französischen Romantikern

Dubois eröffnete das Konzert mit einer Transkription von Bachs Tocatta d-moll nach Vivaldi, die er mit beeindruckender Präzision und Ausdruckskraft interpretierte. Das Stück gilt als das bekannteste Werk der Orgelliteratur. Wer die ersten Töne hört, hat also sofort eine Klangerwartung im Kopf, die es jedes Mal aufs Neue zu erfüllen oder zu variieren gilt. Dubois schaffte dies mit teils unerwarteten Tempi und tieftönenden Tutti, die kurz die Eiseskälte, die durch die Lorenzkirche wehte, vergessen ließ.

Die gelungene Moderation von Interimskantor Roland Maria Stangier, die informative Einblicke in die gespielten Werke bot, rundete das Konzerterlebnis harmonisch ab. Stangier ging nicht nur in Zitaten bekannter Organisten der vorigen Jahrhunderte launig auf die besagten Temperaturen in einer Kathedrale wie der Lorenzkirche ein, sondern begleitete das Programm mit biografischen Hinweisen und Hintergründen zu den Werken, die einen eindeutigen Fokus auf die französische Romantik hatten.

Kernstück des Abends war Julius Reubkes "Sonate über den 94. Psalm", in der Dubois die dramatische Tiefe und technische Komplexität des Werks meisterhaft zur Geltung brachte. Der Komponist selbst gilt als ein tragisches Genie der Musik: im Alter von nur 24 Jahren bereits im Jahr 1858 an Tuberkulose verstorben, hinterlässt er ein nur schmales Oeuvre. Besagte Sonate aber gilt trotzdem als eines der dichtesten und für die damalige Zeit innovativsten Werke der Orgelliteratur.

Nach der Pause, in der die Besucher den traditionellen "Orgelwein" genießen konnten, erklangen Werke von Charles-Marie Widor und Camille Saint-Saëns. Besonders hervorzuheben ist Dubois' Interpretation von Widors Toccata aus der 5. Symphonie, die er mit beeindruckender Leichtigkeit und Präzision darbot.

Den Abschluss bildete eine Improvisation über ein vorgegebenes Thema, in der Dubois seine Kreativität und Virtuosität eindrucksvoll unter Beweis stellte. Die Übertragung des Konzerts auf eine Großbildleinwand ermöglichte es dem Publikum, Dubois' Spiel aus nächster Nähe zu verfolgen und trug zur intensiven Atmosphäre des Abends bei.

Insgesamt war die Lorenzer Orgel-Gala mit Vincent Dubois ein musikalischer Höhepunkt zum Jahresende, der das Publikum mit seiner Mischung aus technischer Brillanz und emotionaler Tiefe nachhaltig beeindruckte.

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