Der Erfinder der Zwölftontechnik, dessen 150. Geburtstag sich am 13. September jährt, hätte seine Freude an der neuen VR-Produktion des Staatstheaters Augsburg gehabt, geht sie, wie auch der Komponist, einen Schritt tiefer in gewohnte Wahrnehmungswelten.
Eine junge Frau irrt durch den nächtlichen Wald auf der Suche nach ihrem Geliebten. Den findet sie mitten auf einer Lichtung schließlich tot vor einem prächtigen Haus, das zu brennen beginnt. Auf dem Weg dahin tauchen Riesenpilze, Fackeln und später in einer an eine Mondlandschaft erinnernden Zwischenwelt auch noch ein mysteriöser Schlüssel auf. Schließlich findet sich die Frau in einer dystopischen Großstadtkulisse wieder – und wird verfolgt. Von wildfremden Menschen, die ihr an den Kragen wollen. Und vom Bild des Getöteten, das auf großen Bildschirmen an den Fassaden flimmert. Jetzt wird klar: Sie selbst hat ihren Mann ermordet.
Eine schaurige, rund einstündige Handlung, die in Zusammenspiel mit der die Tonalität an ihre Grenzen und darüber hinaus führenden Musik noch intensiver wirkt. Klänge, die damals provozierend klangen, werden die Hörgewohnheiten der Dur-Moll-Tonalität, die einige Jahrzehnte zuvor schon Komponisten wie Richard Wagner oder Gustav Mahler weitgehend ausgereizt haben, nun angesichts eines Parforceritts auf der Schwelle zur Atonalität auf harte Proben gestellt.
Dazu noch der Text, in dem Librettistin Marie Pappenheim die Protagonistin einen halluzinatorischen Angsttraum durchsingen lässt, bei dem es dem Hörer manchmal eiskalt den Rücken hinunterläuft.
360-Grad-Erfahrung
Unter der Regie von Staatsintendant André Bücker wurde das Geschehen in eine gerenderte 360°-VR-Welt übertragen und von den Augsburger Philharmonikern eingespielt. Virtual Reality lasse den Zuhörer Teil eines beeindruckenden expressionistischen Klangkunstwerks werden und es von innen heraus auf verschiedenen Ebenen erfahren.
Dazu setzt man ein VR-Headset auf und nimmt jeweils ein Steuerungsmodul in die Hand, über das der Weg der Frau – ein digitales Abbild von Sopranistin Sally du Randt – durch den nächtlich-schauerlichen Wald gesteuert wird und es Aufgaben zu lösen gibt – beispielsweise einen Pilz per Knopfdruck packen und zum Mund führen. Davor kann man ihn sich nahe vor die Augen halten und die täuschend echt wirkenden, fein ziselierten Lamellen betrachten. "Das sind Scans von echten Pilzen", sagt Ludwig Blankenhagen. Der 3D-Artist von Heimspiel hat die Welten mit entworfen, durch die sich der Spieler klicken kann, wenn er die Handlung weiter voranführen muss.
Teils zeigen während der Inszenierung Pfeile den richtigen Weg, teils wird man intuitiv weitergeführt. Je nachdem, wie lange man dabei grübelt oder wie lange man sich die Szenerien in Ruhe betrachten oder die Leiche des Geliebten von allen Seiten untersuchen möchte, kann das länger dauern als die knappe Stunde Nettospielzeit, die das Stück eigentlich auf die Bühne bringt. Das macht dann auch das Spielerische an dieser Opernerfahrung aus. "Die Produktion soll Opernliebhaber ansprechen, die sich auf noch intensivere Erlebnisse einlassen wollen", meint "Heimspiel"-Mitgründer Frank Patzke.
Wer die Mini-Oper für 9,99 Euro auf der Online-Gaming-Plattform "Steam" kauft, kann sie sich unbegrenzt ansehen.
Arnold Schönberg und der Glaube
Arnold Schönberg wird am 13. September 1874 als Sohn des Kaufmanns Samuel Schönberg und dessen Frau Pauline in Wien geboren. Er wuchs zwar in einer jüdischen Familie auf, ist aber 1898 zum evangelischen Glauben konvertiert.
In einem Beitrag für das Evangelische Museum Österreich in Wien beschreibt der österreichische Theologe Werner Horn, wie die Familie Schönberg bei einem Sommeraufenthalt in Mattsee 1923 aufgefordert wurde, einen Taufschein vorzulegen, weil jüdische Feriengäste als unerwünscht galten. Zwar hätte Schönberg auf sein protestantisches Bekenntnis verweisen können, reiste stattdessen jedoch sofort ab.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verliert er seine Stelle als Professor an der preußischen Akademie der Künste in Berlin und geht ins Exil nach Paris.
Bevor er Nazi-Deutschland verlässt, konvertiert Arnold Schönberg am 24. Juli 1933 in einer Pariser Synagoge wieder vom evangelischen zum jüdischen Glauben. Für ihn auch ein politisches Bekenntnis, wie in seinen darauf folgenden Schriften und der Überlegung zur Gründung einer jüdischen Einheitspartei ersichtlich ist.
An seinen Komponistenkollegen Anton Webern schreibt er später, dass er sich diese Entscheidung 14 Jahre lang überlegt habe und sich "definitiv von dem gelöst habe, was mich an den Okzident gebunden hat".
Dass er so lange gewartet hat, verwundert, wenn man seine Zeilen liest, die Schönberg schon fast zehn Jahre vorher an seinen Freund und Maler Wassily Kandinsky schrieb: Er habe seine Lektion gelernt und sei kein Deutscher, kein Europäer, vielleicht kaum ein Mensch – sondern Jude. Schönberg beschäftigt sich nun auch künstlerisch mit dem Judentum, legt 1927 das Drama "Der biblische Weg" vor und arbeitet zwischen 1926 und 1932 an der Oper "Moses und Aron".
Ein sehr lesenswertes Buch über die Beziehung zwischen Arnold Schönberg und seinem Landsmann, den Schrifsteller und Meister der zynischen Literatur Karl Kraus, ist im Münchener Verlag text+kritik erschienen. In mehreren Aufsätzen wird die Geistesverwandschaft dieser beiden prägenden Gestalten des europäischen Kulturbetriebs des frühen 20. Jahrhunderts beschrieben.
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