Die Jury der Interfilm-Akademie unter Vorsitz des evangelischen Theologen Peter Marinkovic, Dekan im Münchner Prodekanat Ost, würdigte Roya Sadats Film "A Letter To The President" als "bewegenden, äußerst differenziert gestalteten Film, der von den Widersprüchen des afghanischen Rechtssystems und der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zehn Jahre nach dem offiziellen Abzug der Taliban erzählt."

Die 1981 geborene Roya Sadat hat die Herrschaft der Taliban am eigenen Leib erfahren: Als Mädchen durfte sie keine Schule besuchen; ihre Mutter unterrichtete sie mit ihren fünf Schwestern zu Hause. Das Filmmetier brachte sie sich aus Büchern selbst bei. Nach der Befreiung des Landes von der Talibanherrschaft 2001 waren das ihre Voraussetzungen, um zur ersten afghanischen Regisseurin und einer Wiederbegründerin des afghanischen Kinos zu werden.

Nichts ist gut in Afghanistan

Im Mittelpunkt ihres Films steht Soraya, eine zweifache Mutter, zerrissen zwischen ihrem Job als Leiterin der Kriminalabteilung der Kabuler Polizei und ihrem Leben als Ehefrau eines trinkenden und gewalttätigen Mannes. Die schwierige Balance gerät katastrophal aus den Fugen, als die Polizistin beschließt, nach Recht und Gesetz vorzugehen und eine Frau zu retten, die die Ältesten eines Dorfs wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt haben. Damit begibt sich Soraya in einen heillosen Konflikt mit den Stammesführern, der Tradition und mit ihrem Ehemann.

 

Der Film »A Letter To The President« (2017) der afghanischen Regisseurin Roya Sadat (geboren 1981) erzählt die Geschichte von Soraya, einer zweifachen Mutter aus der afghanischen Oberschicht, zerrissen zwischen ihrem Job als Leiterin der Kriminalabteilung der Kabuler Polizei und ihrem Leben als Ehefrau eines trinkenden und gewalttätigen Mannes. Die schwierige Balance ihres Lebens gerät katastrophal aus den Fugen, als die Polizistin beschließt, nach Recht und Gesetz vorzugehen und eine Frau zu retten, die die Ältesten eines Dorfs wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt haben. Damit begibt sich Soraya in einen heillosen Konflikt mit den Stammesführern, der Tradition und mit ihrem Ehemann. Der Film erhielt auf dem Münchner Filmfest 2018 den »One Future«-Preis der ökumenischen Interfilm-Akademie.

Schauspielerisch herausragend ist Hauptdarstellerin Leena Alam, die seit 1989 in den USA lebt. Die vergleichsweise schlichte Erzählweise und Bildsprache des Films lassen dem Zuschauer die Figuren am Ende trotzdem fremd bleiben. In jedem Fall eröffnet "A Letter To The President" aber sehenswerte Einblicke in die Verhältnisse eines Landes, das durch die Flüchtlingsthematik in Deutschland präsent, aber auch weithin unbekannt ist.

Der Vorname der Regisseurin bedeutet Traum. In Afghanistan ist dagegen auch über 15 Jahre nach Ende des Taliban-Regimes vieles ein Albtraum. Roya Sadats Film "A Letter To The President" erzählt auch diese Geschichte: dass in Afghanistan für Frauen wie Soraya (oder Regisseurin Sadat) Freiheit und Rechtsstaatlichkeit angesichts von Stammestraditionen, einem erzkonservativen Islam und dem wieder wachsenden Einfluss der Taliban-Milizen noch lange ein Traum bleiben werden.

 

Die afghanische Regisseurin Roya Sadat und der Drehbuchautor ihres preisgekrönten Films »A Letter To The President«, Aziz Dildar.
Die afghanische Regisseurin Roya Sadat und der Drehbuchautor ihres preisgekrönten Films »A Letter To The President«, Aziz Dildar, in ihrem Dankesvideo an die ökumenische Interfilm-Akademie.

Mit einer "lobenden Erwähnung" bedachte die Interfilm-Jury den Dokumentarfilm "Welcome to Sodom – dein Smartphone ist schon hier" der österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer. Die Doku begibt sich auf die größte Elektromüllhalde der Welt, eine illegale Deponie in Ghana, in der jedes Jahr 250.000 Tonnen Smartphones, PCs, Monitore und anderer Elektroschrott aus einer weit entfernten, digitalisierten Welt landen. Tausende Erwachsene und Kinder wohnen und arbeiten im hochgiftigen Dampf des verbrennenden Schrotts – ein apokalyptischer Ort.

Bedanken konnten sich die Filmemacher – wie die afghanische Regisseurin – nur per E-Mail. Krönes und Weigensamer sind schon wieder unterwegs: im Westjordanland für ihr neues Filmprojekt "The Devil’s Rope" (Teufelsseil), mit dem sie die "Kulturgeschichte des Stacheldrahts" erzählen wollen. Die Botschaft der beiden Österreicher war trotzdem deutlich: "Agbogbloshie, Sodom, ist Tausende Kilometer von Europa entfernt. Und doch näher, als man denkt. Denn unsere europäische Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft macht diesen Ort überhaupt erst möglich – wir bedingen seine Existenz", schrieben die Filmemacher. Und weiter: "Wir verbarrikadieren unsere Grenzen gegen Menschen, während wir unseren Müll, unseren Schrott wie selbstverständlich, ungehindert und frei über jede Grenze hinweg in eben jene Länder verschiffen, denen wir umgekehrt strikt jeden Zugang verweigern." (Im Kino ab dem 2. August)

 

Im Inferno des Wohstandsmülls: Szene aus dem Dokumentarfilm »Welcome to Sodom« der österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer.
Im Inferno des Wohstandsmülls: Szene aus dem Dokumentarfilm »Welcome to Sodom« der österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer. Die Elektromüll-Deponie Agbogbloshie in Ghana, Sodom, ist Tausende Kilometer von Europa entfernt. Und doch näher, als man denkt. Denn die europäische Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft macht diesen Ort überhaupt erst möglich – bedingt seine Existenz.

Der undotierte "One Future"-Preis wurde beim 36. Münchner Filmfest bereits zum 33. Mal vergeben. Festival-Chefin Diana Iljine würdigte die Rolle der evangelische geprägten Interfilm-Akademie ausdrücklich: "Dieser Preis macht das Festival noch attraktiver." Insgesamt werden auf dem Münchner Filmfest 14 verschiedene Preise vergeben.

Mit dem "Cinemerit Award" holt das Festival traditionell internationale Prominenz an die Isar: In diesem Jahr waren die Britin Emma Thompson und Terry Gilliam ("Das Leben des Brian", "Brazil", "12 Monkeys", "König der Fischer") die Preisträger.

Ex-"Monty Python" Gilliam hatte seinen Film "The Man Who Killed Don Quixote" im Gepäck. Seit über 20 Jahren arbeitet der amerikanisch-britische Regisseur an dem Film. Zur Produktionsgeschichte gehört eine schier endlose Abfolge von Pannen, Ärger, einem kranken Hauptdarsteller, Rechtstreitigkeiten und anderen Katastrophen. Über das Scheitern des ersten Drehstarts im Oktober 2000 gibt sogar einen eigenen Film: die Dokumentation "Lost in La Mancha" (2002). Überzeugen konnte Gilliam mit seiner selbstironischen, überdrehten Abenteuer-Komödie nun eher weniger.

Emma Thompson singt barfuß

Zu den Highlights des diesjährigen Filmfests gehörte dagegen, als Hollywood-Star Emma Thompson zu ihrer Ehrung die Bühne betrat – barfuß, weil sie die hohen Plateauschuhe drückten – und dann dem Publikum noch ein grandioses Ständchen sang. Mitgebracht hatte auch sie ihren neuen Film. "Kindeswohl", in dem sie eine Familienrichterin spielt, kommt Ende August in die Kinos.

Publikumsrenner und Gewinner des Publikumspreises war in diesem Jahr Oliver Haffners Film "Wackersdorf", der (Atom-)Geschichte und die Geschichte bayerischen und deutschen Bürgerwiderstands erzählt (im Kino ab dem 20. September).

 

Filmfest München 2018 - Emma Thompson singt barfuß.
Filmfest München 2018: Emma Thompson singt barfuß.
Cinemerit-Award beim Münchner Filmfest 2018 für die britische Schauspielerin Emma Thompson.
Cinemerit-Award beim Münchner Filmfest 2018 für die britische Schauspielerin Emma Thompson: Mitgebracht hatte auch sie ihren neuen Film. »Kindeswohl«, in dem sie eine Familienrichterin spielt, kommt Ende August in die Kinos.
Cinemerit-Award beim Münchner Filmfest 2018 für den amerikanisch-britischen Regisseur Terry Gilliam.
Ein weiterer Cinemerit Award ging beim Münchner Filmfest 2018 an den amerikanisch-britischen Terry Gilliam (»Das Leben des Brian«, »Brazil«, »12 Monkeys«, »König der Fischer«). Ex-»Monty Python« Gilliam hatte seinen Film »The Man Who Killed Don Quixote« im Gepäck. Seit über 20 Jahren arbeitete der amerikanisch-britische Regisseur an dem Film. Zur Produktionsgeschichte gehört eine schier endlose Abfolge von Pannen, Ärger, einem kranken Hauptdarsteller, Rechtstreitigkeiten und anderen Katastrophen. Über das Scheitern des ersten Drehstarts im Oktober 2000 gibt sogar einen eigenen Film: die Dokumentation »Lost in La Mancha« (2002).

Die Filmmusik bleibt meist unbesungen, und doch ist ihre Bedeutung fürs Gesamtkunstwerk Kino kaum zu unterschätzen. Gerd Baumann, einen ihrer herausragenden Vertreter in Deutschland, würdigte die Interfilm-Akademie schließlich mit ihrem diesjährigen Ehrenpreis. Baumann ist ein Multitalent: Er ist Musiker, Komponist, Gelegenheitslyriker, Professor für Filmkomposition an der Münchner Musikhochschule und kongenialer Partner von Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller.

Seit "Wer früher stirbt, ist länger tot" (2006), für den er 2007 den Deutschen Filmpreis für die beste Filmmusik erhielt, war Baumann in elf von Rosenmüllers Filmen für die Musik verantwortlich. Von 2013 bis 2017 stellten Rosenmüller und Baumann auch gemeinsam das Singspiel zur Starkbierprobe auf dem Münchner Nockherberg auf die Bühne. Außerdem betreibt Baumann zusammen mit Till Hofmann und dem Ex-FC-Bayern-Spieler Mehmet Scholl das Musik-Label Millaphon Records, zu dem auch der Münchner Live-Club Milla gehört. Gelegentlich sind Rosenmüller und Baumann auch als Lyriker in bester Ringelnatz-Tradition auf der Bühne zu erleben.

 

Ehrenpreis der ökumenischen Interfilm-Akademie für den Filmkomponisten Gerd Baumann (Mitte), neben ihm Pfarrer Peter Marinković von der Interfilm-Akademie (links) und Laudator Adrian Prechtel.
Seine Kunst ist es, mit Musik, die Seele eines Films zum Vorschein zu bringen: Ehrenpreis der ökumenischen Interfilm-Akademie für den Filmkomponisten Gerd Baumann (Mitte), neben ihm Pfarrer Peter Marinković von der Interfilm-Akademie (links) und Laudator Adrian Prechtel.

Auch eine "erwartete Überraschung" des diesjährigen Filmfests lebt von seiner großartigen Musik: "So was von da" von Jakob Lass. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Hamburger Kultroman von Tino Hanekamp und taucht tief ein in die Welt eines Underground-Musikclubs.

Der 1981 geborene Jakob Lass gehört zu einer filmästhetischen Bewegung, die sich "Mumblecore" nennt und – anders als die Dogma-Bewegung in den 90er-Jahren – zwar mit ausgefeilter künstlicher Lichtsetzung und Szenenplanung arbeitet, aber auch viel mit Handkamera und dabei die Schauspieler weitgehend improvisieren lässt. 2017 hatte Jakob Lass’ Bruder Tom mit dem ebenfalls im "German Mumblecore"-Stil gehaltenen Film "Blind & hässlich" den Kritiker-Preis des Münchner Filmfests erhalten.

Gedreht wurde mit echten Bands in einem echten Club mit echten Gästen. Sie hatten vorher unterschrieben, sie seien damit einverstanden, dass man sie (womöglich berauscht oder dergleichen) in einem Film sehen werde. Die jungen Schauspieler um den herausragenden Niklas Bruhn in der Hauptrolle mussten sich mit dieser realen Kulisse auseinandersetzen. Neben ihnen sind Corinna Harfouch und der gealterte Punkrocker Bela B von der Band "Die Ärzte" sowie die Hamburger Kiezgröße Karl-Heinz Schwensen ("Kiez-Kalle") aus dem Rotlichtmilieu als Bösewicht zu sehen.

Herausgekommen ist ein bemerkenswerter Film, ein großartig geschnittener Rausch der Bilder. Trotz hohem Tempo, Zeitsprüngen, Einschüben, Jump Cuts in der Manier von Video-Clips – in "So was von da" gelingt es Jakob Lass auf höchst unterhaltsame Weise, das filmische Chaos nicht nur im Zaum zu halten, sondern als "Geschichte eines Silvesterabends im Leben des Oskar Wrobel" überzeugend zum Klingen zu bringen. Und er bietet dabei Einblicke in eine Welt, die Menschen über 30 in der Regel verborgen bleibt (im Kino ab dem 16. August).

Filmfest München 2018 - »So was von da« - Regisseur Jakob Lass und die Schauspieler seines Films.
»So was von da«: Regisseur Jakob Lass und die Schauspieler seines Films.
Filmfest München 2018 - »So was von da« - Niklas Bruhn und David Schütter.
Trotz hohem Tempo, Zeitsprüngen, Einschüben, Jump Cuts in der Manier von Video-Clips – in »So was von da« gelingt es Jakob Lass auf höchst unterhaltsame Weise, das filmische Chaos nicht nur im Zaum zu halten, sondern als »Geschichte eines Silvesterabends im Leben des Oskar Wrobel« überzeugend zum Klingen zu bringen.
Filmfest München 2018 - »So was von da« - Niklas Bruhn.
Überzeugende Premiere: Hauptdarsteller Niklas Bruhn als Oskar Wrobel in Jakob Lass' »German Mumblecore«-Produktion »So was von da«, die auf dem gleichnamigen Hamburger Club- und Kultroman von Tino Hanekamp basiert.