"Art in disability" haben Kurator Klaus Mecherlein und seine Mitstreiter die Kunst getauft, die die Münchner Augustinum Stiftung nun schon zum siebten Mal mit dem renommierten "euward" auszeichnet. Der "euward" ist schon lange der europäische Kunstpreis für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung. 250 Teilnehmer aus 15 europäischen Ländern haben sich diesmal beworben, 15 Männer und zwei Frauen wurden vom "euward"-Kuratorium in die engere Wahl genommen. Im Herbst stellte die internationale Jury die Werke der vier Preisträger der Öffentlichkeit vor, obwohl die eigentliche Preisverleihung mit Katalog und umfassender Ausstellung im renommierten Buchheim-Museum am Starnberger See erst im Sommer 2018 stattfindet (22. Juli bis 9. September). Ab dem 15. März soll eine Online-Abstimmung über den Publikumspreis des "euward 7" beginnen. Dabei kann über alle 17 Nominierten abgestimmt werden.
Es gehe heute nicht mehr in erster Linie darum, geistig behinderten Menschen in behüteten Werkstätten eine Beschäftigung zu geben, sondern darum, sie als Künstler ernst zu nehmen, unterstreicht euward-Initiator Klaus Mecherlein. Ziel und Zweck des mittlerweile bedeutendsten Preises der sogenannten "Art brut" sei es, die Künstler, die sich wegen ihrer Behinderung nicht selbst auf dem Kunstmarkt behaupten können, "aufzuspüren und sie und ihr Werk sichtbar zu machen".
Der euward sorgt für Anerkennung und Wertschätzung – durch die geschickte Netzwerkarbeit der Mentoren inzwischen in ganz Europa. Mecherlein leitet das Kunstatelier des Heilpädagogischen Zentrums des Augustinums in München. Für die Künstler bei ihm ist das Atelier Arbeitsplatz. Neben der begleitenden sozialpsychologischen Unterstützung erhalten sie auch ein monatliches Einkommen für ihre künstlerische Arbeit. Mit dem Publikumspreis und der Online-Abstimmung wolle man den "euward" einem noch breiteren Publikum zugänglich machen, sagt Mecherlein.
"Landkarte" als Lebenswerk
Die Ergebnisse sind beeindruckend. Wegen der hohen Qualität der eingesandten Arbeiten sind es diesmal vier statt der sonst üblichen drei Preisträger. Um die Spannung hoch zu halten, soll ihre Reihung aber erst bei der Ausstellungseröffnung im Juni 2018 bekannt gegeben werden.
Großformatiges, abstraktes Figurenwerk auf langen, endlos scheinenden, schwebenden Bändern – das sind die Arbeiten des Künstlers Ota Prouza, der seit mehr als 50 Jahren in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung im tschechischen Brtníky lebt. Eine ganze Hafenstadt im fotografisch detaillierten Blick hat der Niederländer Tim ter Wal minutiös hingestrichelt. Cartoon-artig gezeichnete, mit Text ausgefüllte Sozialreportagen über Menschen aus seinem Alltag produziert der Schweizer Clemens Wild.
Und schließlich ist da "Athosland" von Michael Golz aus Duisburg, im Wortsinn ein Lebenswerk, das der 60-Jährige auf Tausenden von Einzelblättern entwickelt und noch lange nicht beendet hat. Dabei ist das meterhohe Fragment in der Vorab-Ausstellung nur ein winziger Bruchteil dessen, was sein gigantisches Landschaftsuniversum ausmacht. Was von Weitem aussieht wie eine abgemalte Landkarte, erweist sich als monumentales buntes Bastelwerk aus zerschnittenen, beklebten, bemalten und beschrifteten Papieren, auf Malerkrepp befestigt, damit sich die Blätter nicht rollen, wenn sie schier endlos aneinandergeklebt werden. 40 Jahre arbeitet der Künstler bereits daran. Ein Ende ist nicht abzusehen, schließlich Will Golz die Welt so lange in sein "Athosland" mitnehmen, bis er sich nicht mehr künstlerisch ausdrücken kann.
Kunst unterscheidet nicht
"Wir wissen ja gar nicht, ob den behinderten Künstlern wirklich das Vermögen fehlt, künstlerische Fragestellungen zu Ende zu denken", erklärt Jurymitglied Monika Jagdfeld aus der Schweiz.
Der Kontext mag sich unterscheiden, aber Kunst unterscheidet nicht. Wenn Kunst ehrlich und konsequent sei, einen anspreche, Wirkung hinterlasse, eine autonome Kraft entfalte, dann, so die Leiterin des Museums für Naive Kunst und Art Brut in St. Gallen, ist das Ergebnis ganz einfach: Kunst.
Publikumsabstimmung beim "euward7": www.euward.de/publikumsabstimmung/