Digitaltrainer Daniel Wolff klärt seit 2017 bei Workshops und Elternabenden an Schulen in Ober- und Niederbayern über die Gefahren im Netz auf. Seine Erfahrung: Das Einstiegsalter wird immer jünger. Der Ratgeber-Autor fordert deshalb Gesetze für einen effektiven Kinder- und Jugendschutz im Netz – und Smartphones erst ab 14 Jahren.

Herr Wolff, Sie geben Workshops zum Umgang mit Smartphones, mittlerweile sogar in Grundschulen. Warum bekommen Kinder immer früher ein Handy?

Daniel Wolff: Weil viele heutige Eltern noch nicht verstehen, dass die Übergabe eines Smartphones an Kinder ein lebensverändernder Moment ist. Sie kennen die für Kinder negativen Seiten der digitalen Welt nicht, weil sie selbst als Kind kein Smartphone hatten. Kinder benutzen aber das Internet und viele Apps ganz anders als Erwachsene: Wir verschicken zum Beispiel per WhatsApp vor allem Informationen; Kinder dagegen nutzen WhatsApp im Wesentlichen zum Spaß. Dazu gehören Emojis, GIFs und jede Menge Sticker - vom Quatschbild bis zum Hitlergruß. Meiner Ansicht nach ist ein Smartphone das komplizierteste Gerät der Welt, weil es mit jeder benutzten App seinen Charakter völlig ändert.

"Hätten wir damals Smartphones gehabt, hätten wir das auch gemacht"

Das Internet gibt's mit dem Smartphone gleich dazu. Welchen Gefahren sind gerade Kinder dadurch ausgesetzt?

Gefahr Nummer eins ist in meinen Augen das Suchtpotenzial: Kinder wollen mit dem Handy erst nicht mehr aufhören, und später können sie es nicht mehr. Sie überreden ihre Eltern, dass sie abends nur noch etwas Musik hören oder die Weckfunktion nutzen wollen. Über 50 Prozent der Eltern erlauben deshalb sogar Grundschulkindern, das Smartphone mit ins Bett zu nehmen!

Das Erste, was fast alle Kinder dann machen: Lautstärke auf Null und Display abdunkeln, damit die Eltern nichts merken. Und dann schauen sie ohne Ende YouTube und TikTok, chatten mit Freunden, spielen Handy-Spiele wie Brawlstars oder Roblox. Hätten wir damals Smartphones gehabt, hätten wir das auch gemacht! Viele Kinder zocken heimlich bis Mitternacht, manche sogar bis zum Morgengrauen - um dann völlig übermüdet in der Schule zu sitzen.

Neben dem Suchtfaktor des Geräts: Welche Gefahren birgt das Internet selbst?

Jedes Smartphone hat eine Kamera und Kinder experimentieren gerne. Es besteht somit die große Gefahr, dass Bilder der Kinder im Netz landen - auch solche, auf denen sie nicht oder nur halb angezogen sind. Das kann erst mal nur ein Scherz sein oder eine Mutprobe, aber es gibt auch die Gefahr des Cyber-Groomings: Pädokriminelle machen sich übers Internet systematisch an Kinder ran. Einfallstore dafür sind Spiele und Social Media Apps, aber auch offene Gruppen auf WhatsApp, zu denen man von Bekannten hinzugefügt wird - mit für jedermann sichtbarer Telefonnummer und Namen. Pädokriminelle wissen, wie man Kinder am besten manipuliert, und sie sind extrem geschickt. Eltern wiederum halten Grundschulkinder für zu jung für dieses Thema und sprechen selten mit ihnen darüber - aber dann trauen sich die Kinder leider im Ernstfall auch nicht, ihren Eltern etwas zu sagen.

"Es gibt derzeit im Internet keinerlei funktionierenden Kinder- und Jugendschutz"

Sind Kinder vor gewalttätigen Inhalten auf Internetplattformen geschützt?

Nein, es gibt derzeit im Internet keinerlei funktionierenden Kinder- und Jugendschutz. Stattdessen sind vor allem auf YouTube grausamste Video-Clips immer nur einen Klick entfernt, obwohl sie für Kinder nicht zugänglich sein dürften. Viele Kinder mit Smartphone haben schon bestürzend gewalttätige Inhalte gesehen - anfangs meist ohne Absicht. Lehrkräfte, denen wir nach den Workshops diese Filme oder Spiele zeigen, halten das oft keine 20 Sekunden aus.

Wie können Eltern, deren Kinder schon ein Smartphone haben, sie besser vor solchen Gefahren schützen?

Es ist bei jüngeren Kindern sehr sinnvoll, technische Möglichkeiten zur Begrenzung von Handyzeit zu nutzen und nur ausgewählte Apps zuzulassen. Das allein löst aber das Handyproblem nicht! Deshalb empfehlen wir, sich vor der Handy-Übergabe einen Tag Zeit zu nehmen und einen Vertrag zwischen Eltern und Kindern auszuarbeiten - am besten jedes Jahr neu zum Schulbeginn. Und: Eltern sollten mit ihren Kindern ganz viel über ihre digitale Lebenswelt reden, dabei selbst am Ball bleiben und sich informieren.

Sie unterstützen die Hamburger Elterninitiative "Smarter Start ab 14", die erreichen will, dass Kinder erst mit 14 Jahren ein Smartphone bekommen. Was bräuchte es, damit so ein Ziel erreicht wird?

Wir brauchen viel mehr Kompetenzvermittlung für digitale Medien auf allen Ebenen, auch und vor allem für die Eltern. Außerdem brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion über die Frage, ob wir Social Media Apps erst ab 16 Jahren zulassen sollten. TikTok beispielsweise ist ab 13 Jahren - und "überprüft" das durch eine einfache Abfrage des Geburtsdatums. Also schwindeln jüngere Kinder einfach. Kontrolliert wird das nicht. Dass es innerhalb der App aber auch Funktionen für Live-Streaming oder Geldgeschenke gibt, die sogar TikTok selbst als "ab 16" oder als "ab 18" einstuft, wissen weder Kinder noch Eltern. Wir lassen den Digitalkonzernen derzeit aus Unwissenheit freien Lauf - und die verweigern sich aus Kostengründen oder mit dem Vorwand der angeblichen "Zensur" einer effektiven Alters- oder Inhaltskontrolle.

"Jeder Nachtclubbesitzer, jeder Casinochef, jeder Kinobetreiber muss sicherstellen, dass gesetzliche Altersgrenzen eingehalten werden"

Könnte der Staat denn schärfere Gesetze erlassen und deren Einhaltung dann auch gewährleisten?

Wolff: Jeder Nachtclubbesitzer, jeder Casinochef, jeder Kinobetreiber muss sicherstellen, dass gesetzliche Altersgrenzen eingehalten werden, sonst kassiert er empfindliche Strafen. Genauso muss es für die Digitalkonzerne sein, die zu den reichsten Unternehmen der Welt gehören: Wenn sie keinen wirksamen Jugendschutz sicherstellen, müssen die Strafen bei Gesetzesbrüchen richtig wehtun. Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger zu schützen. In der realen Welt macht er das auch - aber im Internet lassen wir unsere Kinder bislang völlig ungeschützt. Leider haben viele Medienpädagogen hier Scheuklappen auf, manchmal sogar offizielle Stellen wie die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz. Sie stellen gerne in den Vordergrund, Kinder digital zu befähigen, sie argumentieren mit dem Recht der Kinder auf Teilhabe. Aber schließt das auch ein "Recht" auf Horror, Porno, Hetze und Sucht ein? Ich finde: Wir können nicht länger warten. Jede Nacht werden Kinder im Internet traumatisiert.

Was können denn Eltern konkret tun, um ihre Kinder zu schützen?

Mit dem Smartphone so lange warten, wie es geht, und dafür Verbündete finden. Wenn die beste Freundin auch keines hat, hält man es besser aus. Das Handy von vornherein nachts aus den Schlafzimmern verbannen. Sich fit lesen und interessiert daran sein, womit sich die Kinder am Smartphone beschäftigen. Und zuallererst den Kindern versichern: "Ich werde dir nie aufgrund irgendwelcher Inhalte dein Handy wegnehmen." Denn nur Kinder, die keine Angst vor Strafe haben, werden mit schlimmen Erlebnissen zu ihren Eltern kommen. Wir müssen uns das Vertrauen unserer Kinder aktiv verdienen.

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