epd: Sie möchten die bestehende Wirtschaftsordnung in eine Gemeinwohl-Ökonomie umwandeln. Worauf kommt es dabei an?
Felber: Auf die Grundwerte - von der Menschenwürde über die Solidarität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bis hin zur Demokratie. Unsere Werte sind weitgehend konstant. Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es erst seit fünf Jahren. Es beruht aber auf Werten, die es seit Jahrtausenden gibt. Diese universellen Werte sind auch in den Verfassungen demokratischer Staaten verankert. Die wirtschaftliche Realität verletzt diese Werte jedoch. Ein Beispiel ist der Hochfrequenzhandel mit Aktiengesellschaften an kapitalistischen Börsen. Eine verfassungskonforme Alternative wären regionale Gemeinwohlbörsen.
epd: Wo kann die Gemeinwohlbewegung mehr bewirken - auf globaler oder lokaler Ebene?
Felber: Sie wird auf allen Ebenen wirksam. Schauen Sie sich zum Beispiel die TTIP-Verhandlungen an. Hier geht es um globale Standards. Offensichtlich gibt es einen Willen, global einheitliche, völkerrechtliche Spielregeln zu schaffen. Nur müssen wir genau hinsehen, welche Interessen dahinter stecken. Immer mehr Menschen nehmen sich heute als Souverän wahr und erheben den Anspruch, die Außenpolitik und die Außenwirtschaftspolitik aktiv mitbestimmen zu wollen – zum Beispiel in Richtung Ethischen Handel.
epd: Haben denn Bürgerinitiativen gegen TTIP eine Chance?
Felber: Ich bin da relativ zuversichtlich, weil die Demokratie derzeit mit den Füßen getreten wird. TTIP wurde nicht von einer Bürgerinitiative eingefordert. Sondern von mächtigen Lobbys und Interessensgruppen. Es gab eine europäische Bürgerinitiative zur Rücknahme des Verhandlungsmandats des Europäischen Rates. Diese haben bisher zweieinhalb Millionen Menschen unterschrieben. Und was macht die Europäische Kommission? Sie entscheidet, dass dieses Begehren des Souveräns nicht zulässig ist, weil es sich bei dem Mandat des Europäischen Rates um keinen Rechtsakt der EU handle.
epd: Der Gemeinwohl-Ansatz will dem Einzelnen mehr Rechte geben?
Felber: Zielführend ist der demokratische Beschluss. Was Gemeinwohl ist, soll vom Souverän definiert werden, der Bevölkerung. Wir wollen die Bevölkerung entscheiden lassen, welche die zehn wichtigsten Zutaten für Lebensqualität oder Lebenszufriedenheit, Glück oder Gemeinwohl sind. Zu den Antworten gehören üblicherweise Gesundheit, Bildung, politische Teilhabe bis hin zu Zeit-Wohlstand und Selbstverwirklichung. Das ist dann in Summe das Gemeinwohl, das aber jeden Moment umdefiniert werden kann. Aus unserer Perspektive brauchen wir eine Definition bei der Messung von wirtschaftlichem Erfolg. Denn wenn das Gemeinwohl das Hauptziel unseres Wirtschaftens ist, wie es in vielen Verfassungen steht, müssen wir die Mehrung des Gemeinwohls messen können.
epd: Und wie messen Sie das?
Felber: Wir haben dafür das Gemeinwohlprodukt anstelle des BIP auf der Makroebene der Volkswirtschaft entwickelt, die Gemeinwohlbilanz ergänzend zur Finanzbilanz auf der Unternehmensebene und den Gemeinwohlmehrwert einer einzelnen Investition anstelle der Finanzrendite auf der Mikroebene.
epd: Wie viele Unternehmen erstellen denn inzwischen eine Gemeinwohlbilanz?
Felber: Die Gemeinwohl-Initiative wurde im Herbst 2010 gegründet. Bis heute haben 250 Unternehmen eine Bilanz erstellt. Das heißt, dass sie sich entweder von einem anderen Unternehmen evaluieren oder extern auditieren lassen. Sehr viel mehr unterstützen die Initiative, nämlich 1.850 - mit täglich durchschnittlich einem Neuzugang.
Dossier
Woran glaube ich? An welchen Werten orientiere ich mich? Welche Rolle spielen Gott und Religion in meinem Leben? Das sind Fragen, mit denen sich Prominente aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Kultur in unserer Reihe #Glaubensfrage beschäftigen. Mehr dazu in unserem Dossier: www.sonntagsblatt.de/glaubensfrage
epd: Sie wollen eine Gemeinwohl-Bank gründen. Was ist das Besondere daran?
Felber: Die "Bank für Gemeinwohl" versteht sich als Bank für die gesamte Gesellschaft. Damit unterscheidet sie sich von traditionellen Genossenschaftsbanken, die aus einem bestimmten Sektor der Gesellschaft kommen, wie die Raiffeisen-Banken für die Bauern oder die Sparda-Banken für die Eisenbahner. Die Bank für Gemeinwohl schüttet zudem keine finanzielle Dividende aus, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern und den Blick auf das eigentliche Ziel zu lenken. Das kann nur effektiv erreicht werden, wenn jedes Kreditansuchen auf seine ethischen Effekte hin geprüft wird. Dies wird mit der sogenannten Gemeinwohlprüfung jedes Investitionsvorhabens gemacht, deren Ergebnis sich auf die Konditionen auswirkt. So wird sichergestellt, dass die Gemeinschaftsgüter wie Gerechtigkeit, Vertrauen, Demokratie und intakte Ökosysteme, durch die Investitionsvorhaben nicht im Wert gemindert, sondern möglichst gemehrt werden.
epd: Und wie messen sie das?
Felber: Es gibt verschiedene Methoden, um den Mehrwert für das Gemeinwohl festzustellen. Es existieren bereits einige Standards und Zertifizierungen von Bio über gentechnikfrei bis zum Blauen Engel oder Fairtrade. Sie greifen Teilaspekte der ethischen Leistung von Unternehmen auf. Wir schlagen vor, alle Verfassungswerte zu berücksichtigen. Die Bank arbeitet mit einem Set aus 17 Gemeinwohlindikatoren, dazu gehören die Arbeitsbedingungen ebenso wie die Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen oder die Verteilung von Gewinnen und Einkommen.
epd: Warum gibt es 17 und nicht 20 Indikatoren?
Felber: Die 17 Indikatoren sind aufgrund unserer bisherigen Arbeit zustande gekommen. Zu Beginn waren es über 50 Indikatoren. Das waren besonders für kleine Unternehmen zu viele. Es geht uns darum, dass Optimum für die Gesellschaft zu finden.
epd: In Ihrem neuen Buch "Die innere Stimme" sprechen Sie erstmals über Spiritualität und Glauben. Warum?
Felber: Es gibt zwei Motive für dieses ergänzende Büchlein. Erstens werde ich bei fast jedem Vortrag gefragt, was mich motiviert und warum ich das tue. Darauf möchte ich eine klare Antwort geben. Das zweite Motiv ist mein Bedürfnis, mich zu zeigen. Das ist ja auch Teil des Schöpfungsauftrages, dass wir uns zeigen wie wir sind, und uns nicht verstecken.
epd: Sie gehen mit der Kirche kritisch ins Gericht. Wo sehen Sie, dass die Kirche in diesem ganzen Prozess nützlich sein könnte?
Felber: Ich bin vor mehr als 20 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie war mir in der konkreten Praxis zu lebensfeindlich. Inzwischen habe ich mich versöhnt und kooperiere mit vielen Personen und Einrichtungen der Kirche, die das Leben bejahen. Ich verbünde mich mit denjenigen Kräften, die das, was die Spiritualität ursprünglich ist, verwirklichen wollen.
epd: Was kann jeder Einzelne zum Gemeinwohl beitragen?
Felber: Wir können unendlich viel tun. Am einfachsten ist es, in sich selbst hinein zu spüren, was der eigene Beitrag zum Wandel oder zur Verfeinerung der Menschheit ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie freut sich sehr über Mitarbeit, Mitgliedschaft oder jede andere Form der Unterstützung.
epd: Wo sind Sie in 10 Jahren?
Felber: In zehn Jahren arbeite ich in einem globalen demokratischen Verfassungskonvent, der souveräne Demokratie umsetzen will.