Wer Claus Fussek in seinem Büro in der Münchner Klenzestraße besucht, spürt sofort, dass der Noch-64-Jährige beim Thema Pflege und Pflegemissstand nach wie vor leidenschaftlich engagiert ist. Seit rund 40 Jahren tritt Fussek für das Wohl von Pflegenden und Pflegebedürftigen ein. In der Presse wird er gerne als "Pflegeexperte", "Pflegekritiker" oder gar als "Pflegepapst" bezeichnet. "Ich bin", sagt Fussek im Rückblick, "an diesem Thema hängengeblieben."

Das machen auch die in seinem Büro an der Wand aufgehängten Zeitungsschlagzeilen deutlich: "Pflegekrise in München" ist da zu lesen, "So werden Alte ruhiggestellt" und "Wehrt euch endlich". Auch ein Bild des verstorbenen Kabarettisten Dieter Hildebrandt hängt dort, mit ihm hat Fussek eine enge Freundschaft verbunden. Der Schreibtisch des Sozialpädagogen ist übersät mit Papieren und Zeitungsausschnitten, an der Wand stehen Schränke mit Aktenordnern, auf dem Fußboden Kisten mit Fachzeitschriften.

Das Telefon klingelt und Fussek hebt ab. Der Mann der Anruferin ist gestorben, und jetzt geht es um die Bezahlung des reservierten Pflegeplatzes im Heim, der aber gar nicht mehr genutzt wurde. "Ja", sagt Fussek, er kümmere sich darum.

Solche Hilferufe aus der ganzen Republik sind sein täglich Brot hier in der "Vereinigung Intergrationsförderung", einem Beratungs- und Vermittlungsdienst, den Fussek 1978 mitgegründet hat. "Wir kümmern uns um die Pflege, aber wir engagieren uns auch sozialpolitisch", erklärt er das Konzept seines Arbeitgebers. Mit seinem Engagement ist Fussek zum bekanntesten Pflegekritiker Deutschlands geworden, Gast in vielen Talkshows, Interviewpartner vieler Medien und Autor von Büchern wie "Es ist genug! Auch alte Menschen haben Rechte".

Fusseks Botschaft: Die Zustände in vielen Pflegeheimen sind schlimm, alte Menschen werden dort würdelos behandelt. Noch immer sei er darüber fassungslos, dass alle Bescheid wüssten und sich nichts wirklich ändere. Täglich erreichten ihn Anrufe von Altenpflegern und Krankenschwestern, die ihn über unhaltbare Zustände informierten. Aber es gibt auch Kritiker aus den Reihen der Pflegenden, die Fussek vorwerfen, er male die Zustände ausschließlich in schwarzen Farben.

Bei seiner Berufswahl schwankte Fussek ursprünglich zwischen zwei doch sehr entgegengesetzten Polen: entweder Priester werden oder zur Bundeswehr gehen. Es wurde dann die Katholische Stiftungsfachhochschule in München, an der Fussek Sozialpädagogik studierte. Eines seiner ersten sozialen Engagements diente kriegsverletzten Kinder aus Vietnam im Friedensdorf in Oberhausen.

Es folgte die Gründung des ambulanten Pflege- und Beratungsvereins. Ab 1997 wurde das Thema Pflege für Fussek zum Auftrag: In einer Pressekonferenz übte er zusammen mit Kollegen heftige Kritik an den Zuständen in der Altenpflege - das fand eine Welle an öffentlicher Resonanz in den Medien.

Seitdem steht Fusseks Name für diese Kritik und auch für die Formulierung von Mindestansprüchen wie: Jeder pflegebedürftige Mensch müsse täglich genug zu trinken bekommen und die Möglichkeit haben, das Bett zu verlassen. In seine Kritik bezieht er auch die Kirchen ein, diese müssten mehr Anwaltsfunktionen für alte und pflegebedürftige Menschen übernehmen.

Der verheiratete Vater von zwei Kindern hat auch Pflegeerfahrung in der eigenen Familie: Sein 96-jähriger Vater und seine 87-jährige Mutter leben noch zu Hause, versorgt von einer Frau aus Osteuropa mit Arbeitsvertrag. Ja, konstatiert der Sozialpädagoge, es gebe auch in der Pflege eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Fusseks Bilanz seines lebenslangen Einsatzes für eine bessere Pflege fällt sehr ernüchternd aus: Man könne seine Interviews von vor 20 Jahren nehmen, diese seien in ihrer Kritik noch immer aktuell. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum er mit 65 Jahren nicht in den Ruhestand gehen will. Fussek: "Ich habe vor, weiter zu arbeiten. Dieses Thema wird mich nicht loslassen."