"Leben ist Sorge", sagt Elisabeth Koch, 72 Jahre alt, 148 Euro Rente. Sie kocht für drei Tage vor, damit sie weniger Strom verbraucht. Krautwickel aus Kohlrabiblättern, denn die gibt es im Supermarkt gratis. Ihre orthopädischen Einlagen hat sie allerdings zurückgebracht. Eine Zuzahlung von 24 Euro: Nicht drin für die Münchnerin, die mit Grundsicherung aufstockt - was viele aus Scham gar nicht tun. Wie Elisabeth Koch geht es vielen Seniorinnen. Sie ist kein Einzelfall.

Materielle Not im Alter. Das erleben viele Frauen in Deutschland: Der finanzielle Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der Rente, der sogenannte Gender Pension Gap, beträgt in Deutschland 53 Prozent. Das ist deutlich mehr als der Gender Pay Gap, die geschlechtsspezifische Lücke beim Arbeitslohn, auf den am 18. März der Equal Pay Day aufmerksam macht: An diesem Tag erreichen Frauen das Jahreseinkommen von Männern. Ein vergleichbarer Tag für Einkünfte im Ruhestand wäre erst im Juni.

Alleinstehende leiden besonders unter Altersarmut

Auch der Pulli für fünf Euro ist für Elisabeth Koch nicht drin - und erst recht nicht die von ihrer Ärztin empfohlene 400 Euro teure Augenlinse. Die Operation würde ihre Krankenkasse zahlen, die Linse aber nicht. Lesen kann die studierte Bauingenieurin nicht mehr. "Dieser Reichtum ist mir jetzt genommen."

"Vor allem für alleinstehende Frauen bedeutet Alter oft Armut", sagt die empirische Kulturwissenschaftlerin Irene Götz, die mit ihrem Team untersucht hat, wie Frauen mit Altersarmut umgehen. Sehr unterschiedlich, entdeckte die Münchener Professorin, in deren gerade erschienenem Buch "Kein Ruhestand" Fälle wie der von Elisabeth Koch dokumentiert sind.

Gender Pay Gap leicht zurückgegangen

Koch zum Beispiel findet Trost im Kontakt mit ihrem Sohn und ihren Freundinnen. Sie kann gut und preiswert kochen, kennt die Umsonst-Angebote ihrer Stadt. Die Haare selber schneiden, mit Mini-Job weiterarbeiten, auch wenn die Knochen wehtun, und vor allem viel dafür tun, "niemandem zur Last zu fallen". Die im Buch porträtierten Frauen eint eins: Sie haben keinen Ruhestand im Alter.

Der große Abstand der Geschlechter bei den Renten hänge auch mit der Lohnlücke zusammen, sagt Anna Hammerschmid vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Teilzeitarbeit und lange Erziehungszeiten: Was als Ursachen für den mittlerweile ganz leicht zurückgegangenen Gender Pay Gap gilt, hat Folgen für die Rente. Allerdings ist der Rentenunterschied viel höher als der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern. Das bedeute aber nicht, dass alle Rentnerinnen arm sind. "Das für die heutigen Rentnerinnen übliche Versorgermodell über den Ehemann funktioniert ja für viele."

Höhere Gesundheitskosten im Alter

Die Wohnung zu behalten, sei für die alten Frauen zentral - in Städten wie München aber schwierig. "Am Umfeld hängen soziale Kontakte, Wissen über Beratung und günstige Angebote." Mit Wissen und Sozialkompetenz arrangieren sich einige arme Frauen: Sie organisieren selbst Tauschringe, recherchieren Gratisangebote, bleiben vernetzt. Andere verbittern, schämen sich für ihre Hilfsbedürftigkeit.

Gesundheit macht viel aus - auch finanziell. Nicht nur, dass viele körperlich einfach nicht mehr arbeiten können. "Es entstehen im Alter höhere Gesundheitskosten, unabhängig vom Geschlecht", sagt Götz. Ältere seien zudem auch körperlich weniger flexibel: "Umzüge und lange Wege sind für sie ein anderes Problem als für Studierende."

Eine Grundrente nach 35 Jahren Arbeit findet die Münchener Professorin daher angemessen - aber unabhängig von Teil- oder Vollzeitarbeit und ohne "demütigende Bedürftigkeitsprüfung": "Für Frauen, die ihr Leben lang bezahlt oder unbezahlt gearbeitet haben, könnte das im Alter wohlverdiente Ruhe bedeuten", sagt Götz. "Alles andere ist unsolidarisch."