Münchner Hauptbahnhof, Gleis 11. Hier leuchtet auf gelbem Hintergrund der Schriftzug "Bahnhofsmission" auf, darunter befinden sich die Räume der Hilfsorganisation, die auf das Jahr 1897 zurückgeht. Wer die Räume betritt, sieht rechter Hand eine Bank, auf der Hilfesuchende auf ihren Beratungstermin warten. Ihre Zahl steigt seit Jahren an, weiß Bettina Spahn, die seit zehn Jahren die katholische Bahnhofsmission leitet:

"Armut und Mangel als gesamtgesellschaftliches Phänomen zeigen sich hier konkret."

Obdachlosigkeit und Armut: Die soziale Not in München wächst

Linker Hand sitzen Obdachlose an Tischen und essen die Leberkäsbrote, die ehrenamtliche Helferinnen und Helfer verteilen. Die Zahl dieser Menschen in Not ist von 186.000 im Jahr 2022 auf rund 300.000 in 2024 gestiegen. Der überwältigende Teil der Bedürftigen, so die Statistik der Bahnhofsmission, waren Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, darunter viele mit Migrationshintergrund.

Auch psychische Erkrankungen und Suchtabhängigkeit spielen eine größer werdende Rolle. Relativ klein hingegen war die Zahl der betreuten Reisenden. 2024 waren es lediglich 3.374.

Projekt "Lavendel": Schutz für besonders vulnerable Frauen

Der Raum, wo tagsüber Brote ausgegeben werden, wird nachts zum Schlafraum für obdachlose Frauen. 2.200 Übernachtungen zählte die Bahnhofsmission im Vorjahr. Aber: "In unseren Räumlichkeiten können wir Frauen nur zwischen 21.30 Uhr und 7.00 Uhr Schutz und Ruhe bieten", so die Missionsleiterin. Tagsüber ist die Einrichtung zu.

"Aber es gibt Frauen, die brauchen mehr als eine Isomatte". Frauen mit psychischen Belastungen, mit Behinderungen oder ältere Frauen.

Für sie hat Spahn seit 2019 ein spezielles Betreuungskonzept entwickelt: Das Angebot "Lavendel". Dazu hat die Bahnhofsmission in einer nahen Pension zwei Zimmer angemietet. Seit April 2020 - mitten im Corona-Lockdown - bietet die Hilfseinrichtung einen Katzensprung vom Bahnhof entfernt ein Vierbettzimmer für in Not geratene Frauen.

Und seit Oktober 2023 im "Lavendel II" einen zweiten Schutzraum mit weiteren vier Betten - Ruhepunkt für Frauen in akuten körperlichen oder seelischen Notlagen, bis sie in eines der bestehenden Hilfsangebote vermittelt werden können.

Finanzierung und Unterstützung für das Frauenprojekt

In den Räumen mit Waschbecken stehen neben den Betten auch abschließbare Schränke zur Verfügung. Toilette und Dusche sind auf dem Gang. "Hier können die Frauen eine Zwischenzeit verbringen", sagt Bettina Spahn. Bleiben können sie einige Tage bis hin zu einigen Wochen. Die Zimmer sind auch tagsüber offen und es gibt ein Frühstück.

Der Name "Lavendel" für das Projekt hat sich ergeben, weil bei Bezug die Zimmer in einem blassen Lila gestrichen waren. Finanziert wurde ein Zimmer zunächst vom Erzbistum München-Freising, heute finanziert die Stadt München die beiden Räume dauerhaft, so wie auch die pädagogischen Betreuungsstunden.

"Es hat sich gezeigt, der Bedarf ist da", berichtet Spahn. Im Jahr 2024 verzeichnete die Bahnhofsmission 1.935 Übernachtungen in den Lavendel-Räumen. Besonders dankbar sind Spahn und Barbara Thoma, die Leiterin der Evangelischen Bahnhofsmission, auch der Pension, die seit 2020 einen Mietvertrag zu günstigen Konditionen anbietet. Die Möblierung konnte komplett aus Spendenmitteln finanziert werden.

Ellen-Ammann-Preis für Engagement im Frauenschutz

Die beiden Leiterinnen der ökumenisch getragenen Bahnhofsmission sind sich einig: Für viele Frauen sei eine weitere Beratung und Betreuung erst nach der Stabilisierungsphase im "Lavendel" sinnvoll und machbar. Für das Konzept wurde Spahn jetzt vom Katholischen Deutschen Frauenbund Bayern mit dem Ellen-Ammann-Preis ausgezeichnet. Der wird alle zwei Jahre vergeben und erinnert an die Gründerin der Münchner Bahnhofsmission.

Ammann war eine schwedische Frauenrechtlerin, die 1897 in München die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands gründete. Sie wollte junge Frauen vom Land, die auf Arbeitssuche in die Großstadt kamen, vor unseriösen Arbeitsvermittlern schützen.

Die Bahnhofsmission wurde als Anlaufstelle für Menschen in Not und Reisende etabliert und wird bis heute von der katholischen und evangelischen Kirche gemeinsam getragen. Der Preis, der an insgesamt fünf Frauen vergeben wurde, wird am 1. Juli von Ilse Aigner (CSU), Landtagspräsidentin im Bayerischen Landtag, überreicht.

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