Vor 32 Jahren, also 1990, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen. 1990 ist auch das Jahr, in dem ich geboren wurde. Eigentlich noch gar nicht so lange her, oder? Zumindest fühle ich mich noch gar nicht so alt.

Seit 2004 wird mit dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie daran erinnert. Das war in etwa die Zeit, in der mir klar wurde, dass ich nicht heterosexuell, sondern eine bisexuelle Frau bin.

Jammern auf hohem Niveau?

In Deutschland bin ich als bisexuelle Frau in einer relativ privilegierten Position. Ich habe keine Angst, dass ich wegen meiner sexuellen Orientierung im Gefängnis lande oder mich jemand verprügelt. Ich bin privilegiert, weil ich in Deutschland lebe und den Eindruck habe, dass Bisexualität von vielen als "nicht so extrem" wahrgenommen wird wie Homosexualität. Ich bekomme also keine komischen Blicke auf der Straße zugeworfen, wenn ich Zärtlichkeiten austausche.

Ist das also Jammern auf hohem Niveau? Keineswegs, denn Diskriminierung gibt es auch bei uns. Außerdem: Dass ich nicht direkt diskriminiert werde, heißt nur, dass ich Glück habe. Denn es werden Menschen immer noch diskriminiert, eingesperrt oder ermordet, weil sie queer sind.

In anderen Ländern gibt es zwar noch größere Misstände, aber auch in Deutschland muss etwas passieren.

Für Menschen in der LGBTQI+ Community sind komische Blicke der Normalzustand. "Schwuchtel" wird immer noch als Schimpfwort gebraucht. Die Sendung "Quer" des Bayerischen Rundfunks brachte Anfang Mai einen Beitrag über Robin, der als transidenter Jugendlicher seinen angenommenen Namen auf dem Zeugnis haben möchte. Für eine Personenstandsänderung aber braucht er zwei Gutachten, für die er übergriffige Fragen beantworten muss.

Oder würden Sie gerne Fragen zur Ihrer Unterwäsche oder Ihren sexuellen Vorlieben beantworten?

Meilensteine und weite Wege

Ein großer Meilenstein zur Gleichstellung war 2017 die "Ehe für alle". Voriges Jahr gab es auch eine Neuregelung beim Blutspenden. Homosexuelle Männer, die mindestens vier Monate keine wechselnden Sexualpartner haben, dürfen jetzt ihr Blut spenden. Also genau wie Heteros. Früher waren sie permanent ausgeschlossen. Das ist natürlich ein wichtiger Schritt. Patric Nohe, Sprecher der DRK-Blutspendedienste,  betont, dass der Blutspendedienst nicht homophob agiere, sondern dass sich die Blutspendedienste an die Vorgaben aus Politik, Wissenschaft und Forschung halten müssen. Das sind in diesem Fall das Paul-Ehrlich-Institut, die Bundesärztekammer und das Robert-Koch-Institut. Die Sicherheit der Präparate und der damit verbundene Schutz meist schwerkranker Empfänger*innen habe bei der Blutspende oberste Priorität, so Nohe.

Der letzte große Rums in der Gesellschaft war Anfang des Jahres #OutInChurch. Über 100 Mitarbeitende der katholischen Kirche outeten sich und das mediale Echo war riesig. Ich ziehe meinen Hut vor diesen mutigen Menschen, die zu ihrer Kirche stehen, obwohl diese das, was sie sind und wen sie lieben, ja ziemlich offen ablehnt. Es ist noch ein weiter Weg zur Gleichstellung. Ein weiter Weg, bis Menschen aus meiner Community die gleichen Rechte haben.

Es geht aber nicht nur um Rechte, sondern darum, einfach man selbst zu sein und das Leben führen zu können, das man möchte.

Homosexualität in der Evangelischen Kirche

Für die Evangelische Kirche allgemein ist Homosexualität kein Problem, queere Paare werden verheiratet, gesegnet, getauft. Bis dahin war es ein weiter Weg, wie Sieghard Wilm in seinem Buch "St. Pauli - Meine Freiheit" sehr anschaulich beschreibt.

Allerdings gibt es auch in dieser Kirche Menschen, die mit mir und Menschen meiner Community nichts anfangen können, uns ablehnen. Das bekomme ich vor allem in den Kommentarspalten zu spüren, wenn wir einen Artikel veröffentlichen, in dem es beispielsweise um Homosexualität in der Bibel geht. Auch dass es Vertreter*innen in der evangelischen Kirche gibt, die sich homophob äußern, wie der Bremer Pastor Olaf Latzel, macht mich wütend. Auch hier gibt es noch einiges zu tun.

Was kann man und sollte man machen?

Strukturell kann relativ leicht ein neuer Meilenstein gesetzt werden: das Abstammungsrecht reformieren! Die miteinander verheirateten Pfarrerinnen Steffi und Ellen Radtke haben dazu Ende April ein Video auf ihrem YouTube-Kanal Anders Amen veröffentlicht. Welchen Spießrutenlauf queere Paare absolvieren müssen, um ihr eigenes Kind zu adoptieren, ist eine absolute Frechheit und immer noch eine Form der Diskrimierung, die endlich abgeschafft werden muss.

Ein weiterer Meilenstein ist die Änderung des Transsexuellengesetzes. Damit könnten Transmenschen ihren Personenstand unbürokratischer ändern und müssten nicht übergriffige Fragen beanworten, nur um etwas Text auf einem Blatt Papier zu ändern.

Diese beiden Meilensteine wünsche ich mir, haben sie doch weniger mit Recht als mit Würde zu tun. Und sind wir mal ehrlich: Wer von uns möchte schon würdelos behandelt werden?