"Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg": Ein Satz, den so oder ähnlich fast jeder schon gehört hat. Auch Justus (15) aus Nürnberg. Er ist schockiert, wenn einige seiner Mitschüler der neunten Klasse eines Gymnasiums sich so äußern. "Ich versuche, da sachlich zu bleiben und mit Fachkräftemangel zu argumentieren", sagt Justus. Manchmal aber fühle er sich einfach machtlos gegen diese Sprüche.

Nur ein Grund, warum Justus mit 13 anderen Teilnehmern an einem Samstag zum Training gegen Stammtischparolen ins Nürnberger Haus Eckstein gekommen ist. Wie man mit Parolen umgeht, weiß Constanze Borckmann vom Beratungsnetzwerk Bayern gegen Rechtsextremismus, die die verbale Trainingseinheit leitet.  

Ob Schüler wie Justus, eine Studentin, die Geflüchteten bei der Wohnungssuche hilft und oft mit Vorurteilen von Vermietern konfrontiert ist, oder eine Sozialpädagogin, die Sozialhilfe-Empfänger berät - die meisten haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Denn so plump manche Parolen auch daherkommen, ein kluges, schlagkräftiges Gegenargument zu finden, und das auch noch auf der Stelle, fällt vielen schwer.  

"Oft sind wir von den Aussagen überrumpelt, weil wir sie in dem Moment oder von der Person nicht erwarten", sagt Borckmann. Außerdem spiele auch immer die Beziehung zum Gesprächspartner eine Rolle. Mit dem Chef spricht man eben anders als mit der Tante oder dem besten Freund. Und nicht zuletzt, so Borckmann, sei der Inhalt entscheidend. Fühlen wir uns unsicher bei einem Thema, weil wir keine genauen Informationen haben, fällt uns auch die Argumentation schwer.  

Fünf Tipps gegen Stammtischparolen
Fünf Tipps gegen Stammtischparolen

Constanze Borckmann beginnt mit dem "Parolen-Barometer": In Zweier-Teams sollen die Teilnehmer entscheiden, wie sehr sie, auf einer Skala zwischen null und hundert Grad, ein Spruch auf die Palme bringt: "Frauen können nicht einparken", "Hitler hat wenigsten Autobahnen gebaut", "Ausländer sind krimineller als Deutsche" und natürlich "Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg".  Die meisten Sprüche landen oben auf der Skala.

Ziel dieser Übung ist es, sich bewusstzumachen, was eine Stammtischparole im Kern ist: ein Vorurteil. Denn wer sagt: "Wer wirklich arbeiten will, findet auch Arbeit", sagt damit auch: "Jeder Arbeitslose ist faul." Dabei sind Vorurteile etwas Normales. Borckmann: "Wir brauchen Vorurteile. Wir können nicht jeden Tag jede Situation aufs Neue bewerten. Wir müssen uns Schubladen schaffen." Schwierig sei es nur, wenn wir festgefahren sind und aus den Schulbaden nicht herauskommen.

Argumentationstrainings sind nicht neu. Dennoch spüren Constanze Borckmann und ihre Kolleginnen eine stärkere Nachfrage: "Wir können aus unserem Beratungskontext eine Veränderung ableiten. "Leute äußern viel häufiger solche Parolen öffentlich und gehen auch davon aus, dass sie Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft finden."

Jede Parole hat ihre Zeit

Dabei hat jede Parole ihre Zeit. Aktuell stehen Themen rund um Flucht und Asyl im Vordergrund. Es gibt aber auch "Klassiker", sagt Borckmann, wie zum Beispiel die Abwertung von Langzeitarbeitslosen und Obdachlosen. Bei der zweiten Übung dürfen die Teilnehmer selbst in Stammtisch-Rollen schlüpfen: drei Parolen-Schwinger, drei Gegner. Bald steht fest: Während sich die Parolen-Schwinger gegenseitig unterstützen und eine Einheit bilden, wirken die anderen drei wie Einzelkämpfer, die sich in ihren Argumenten verlieren.

Fazit ist, Argumente zu sammeln ist schwieriger als Argumente zu klopfen. Constanze Brockmann rät Koalitionen zu bilden und Verbündete zu suchen. Die Sitzanordnung zu verändern oder einzelne Personen von der Gruppe zu isolieren und in ein Einzelgespräch zu verwickeln. Helfen kann auch eine aufrechte, selbstbewusste Körperhaltung und konkret nachzufragen: "Wen meinst du eigentlich genau, wenn du von Ausländern sprichst?"

Fertige Argumente zum mit nach Hause nehmen gibt es nicht. Die muss sich jeder selbst erarbeiten und formulieren. Wichtigste Erkenntnis, auch für Schüler Justus: Man dürfe nicht davon ausgehen, dass man die Einstellung des anderen ändern kann.

"Das funktioniert in den wenigsten Fällen. Wer eine Parole raushaut, will keine ernsthafte Diskussionen", erklärt Borckmann. Doch was bringt es dann überhaupt, dagegen zu reden? "Es ist wichtig, dass auch andere mitbekommen: Das ist nicht meine Einstellung. Wir dürfen die Langzeitwirkung nicht außer Acht lassen. Umso häufiger Gegenrede stattfindet, umso eher überdenkt der andere seine Meinung." Denn: Wer schweigt, stimmt zu.