Joachim Fuhrländer (54) ist dorthin zurückgekehrt, wo alles angefangen hat - in sein altes Büro auf dem Firmengelände in Waigandsheim, einem Dorf mit nicht mal 200 Einwohnern im Westerwald zwischen Limburg und Siegen. In der Nähe stehen auf den Anhöhen zahlreiche Windkraftanlagen. Viele ziert das große "F" für Fuhrländer. Dass es die Anlagen dort gibt, erfüllt ihn bis heute mit Stolz. "Jede Windmühle ist eine gute Windmühle - egal welcher Hersteller", sagt er. Denn sie verwandelt Wind in Strom. Das ist gut für die Schöpfung!
Von seinem Büro überblickt er die alten Werkshallen. 1982 ist er hier in den väterlichen Betrieb eingestiegen - als Schmiedemeister und Schweißfachmann. Damals reparierte die Schmiede Landmaschinen und übernahm Aufträge für die Metallindustrie im nahen Siegerland. Es war die Zeit der Protestbewegungen - gegen das Waldsterben und die Atomkraft.
Fuhrländer protestierte mit. Doch er wollte mehr - nämlich die Welt verbessern: etwa durch Alternativen zur fossilen Energie wie Öl, Gas und Kohle, aber auch zur Kernkraft. Und weil er nun mal im Westerwald zu Hause war - "da pfeift der Wind so kalt", wie es in einem Volkslied heißt -, begann er, mit Windkraftanlagen zu tüfteln.
1991 stellte Fuhrländer seine erste kleine Anlage in Köln auf. Was folgte, war eine beispiellose Expansion. Die Technologie aus dem Westerwald war gefragt. In aller Welt. 2007 nahm die Firma ein neues Produktionsgebäude direkt am Siegerlandflughafen in Liebenscheid in Betrieb. Bis zu 200 Anlagen konnten dort jährlich hergestellt werden. Die größten mit einer Leistung von 2,5 Megawatt können den Jahresbedarf von 1800 Vier-Personen-Haushalten decken. Die Firma erzielte 2009 einen Umsatz von über 250 Millionen Euro.
Der typische Manager war er nie
Mit seinem Rauschebart und seinen schulterlangen Locken hat Fuhrländer nie dem klassischen Bild eines Managers entsprochen. Und er war es wohl auch nicht. Denn er hatte nie nur sein Unternehmen und dessen Umsatz im Blick. Immer ging es ihm auch um die Menschen, mit denen er zu tun hatte.
So gab er etwa Jugendlichen eine Lehrstelle, die keinen Schulabschluss vorweisen konnten oder auf die schiefe Bahn geraten waren. Er wollte, dass sie alle aus ihrem Leben etwas machen. Denn niemand hat sich sein Elternhaus ausgesucht. Dies war für ihn eine andere Form der christlichen Jugendarbeit, die er in seinem CVJM-Ortsverband Rennerod-Emmerichenhain kennengelernt hatte.
Selbst vor ungewöhnlichen Konzepten schreckte er nicht zurück. So schaffte er eine Bisonherde aus den USA und Alpakas aus Peru an, um die sich seine bis zu 180 Auszubildenden kümmern mussten. So sollten sie lernen, Verantwortung zu übernehmen.
Und weil er davon überzeugt war und ist, dass Bildung der Schlüssel für jede wirtschaftliche Entwicklung ist, wollte er in jedem Entwicklungsland, mit dem er Geschäfte machte, auch Schulen gründen. Doch dazu kam es nicht mehr. Als es die ersten Anzeichen dafür gab, dass sich Windkraftanlagen doch nicht mehr länger wie von alleine verkaufen ließen, weil sich die Wirtschaft weltweit in einer Abwärtsspirale befand, reagierte Fuhrländer auf seine eigene Art: Er arbeitete noch mehr, noch härter.
... dann war er nicht mehr Herr im eigenen Haus
2010 besuchte er 31 Länder in zehn Monaten, um Projektpartner zu finden. Doch dann reagierten die Banken: Im Zuge der Finanzkrise 2012 kappten sie der Firma ihre Kreditlinien. Länder wie die Ukraine, China, Brasilien, Iran oder Vietnam - in die Fuhrländer liefern wollte - erschienen plötzlich nicht mehr zuverlässig. Und auf einmal trauten die Banken auch Fuhrländer als Vorstandsvorsitzendem nicht mehr zu, dass er seine Firma erfolgreich durch die Krise führen könnte.
Fuhrländer lag das Wohl seiner Mitarbeiter und der Firma so sehr am Herzen, dass er bereit war, auf die Forderungen der Banken einzugehen. Er übertrug seine Firmenanteile an zwei Investoren aus der Ukraine - in der Hoffnung, dass die Firma gerettet werden könnte, wenn sie zusätzliches Geld zur Verfügung stellen würden. Diese Entscheidung hing er nicht an die große Glocke, damit die Firma nicht durch negative Schlagzeilen in zusätzliche Turbulenzen geraten würde.
Sein Schritt hatte gravierende Folgen für ihn, denn er - der einstige Firmeninhaber und Vorstandsvorsitzende - war nun nicht mehr Herr im eigenen Haus. Er war nur noch ein Manager wie andere: »Das ist heftig, nicht mehr gestalten zu können.«
Ein neuer Vorstandsvorsitzender wurde berufen. Doch das erhoffte Geld aus der Ukraine kam nicht. Schließlich musste die Aktiengesellschaft Konkurs anmelden.
Insolvenz, Enttäuschung, Vertrauensbruch
Heute ist Fuhrländer davon überzeugt, dass er die Insolvenz doch noch hätte abwenden können, wenn er mehr Einfluss gehabt hätte. Denn die Firmenpartner und Kunden im Ausland vertrauten ihm - nicht aber seinem Nachfolger.
Ironie des Schicksals: Obwohl ihm die Firma nicht mehr gehört, halten die Banken ihre Forderungen an ihn aufrecht. Denn schließlich hat er die Verträge unterschrieben. Doch sein ganzes Geld hatte er in die Firma investiert.
Wie geht es ihm in dieser Situation? Anfangs fiel es ihm schwer, überhaupt noch durch das Dorf zu gehen. Er trauerte. Und er hatte Angst vor den Menschen, weil er sich schuldig fühlte, versagt hatte. Er hatte die enttäuscht, die ihm vertraut hatten.
»Wie konnte das passieren?«
Trotz seiner beispiellosen Karriere war er für sie zwar immer »der Joachim« von nebenan geblieben. Doch nun hatte er Angst vor ihnen, vor ihren Fragen: »Wie konnte das passieren?« Er zog sich zurück. Und ging anfangs nicht mal mehr in die Kirche.
»Es muss geweint, gezweifelt werden, es muss versagt werden«, sagt er etwas umständlich. Das gehöre dazu, um das Geschehen zu verarbeiten. Aber dann sei die Angst gewichen. Und wie zum Trotz sagt er: »Meine Ideen waren doch richtig.« Dass er Menschen eine berufliche Chance gegeben habe, die sonst auf dem Arbeitsmarkt wohl gescheitert wären, sei doch nicht verwerflich. Das war ihm nach der Pleite vorgeworfen worden. Er wäre zu weich, hätte ein zu soziales Gewissen.
Er sieht das anders: »Ein Drittel meiner Mitarbeiter hätte sonst der Staat durchfüttern müssen. Das habe ich dem Staat abgenommen.«
Es ärgert ihn mächtig, dass die Politik letztlich so wenig Interesse an den Menschen zeige. Es dürfe doch keiner auf der Strecke bleiben. »Dieser Prozess hat mich in meinem Glauben nach vorne gebracht.« Er habe nie daran gezweifelt, dass Gott es letztlich gut mit ihm meine: »Ich zweifle an meinem Gott in keiner Weise.« Dass es im Leben nicht nur aufwärtsgehe, sondern Krisen dazugehörten, sei normal.
Sein neues Leben hat Vorteile: »Ich habe mich mit mir selbst auseinandergesetzt, mit meinen Fehlern, mit den Menschen um mich herum.« Er habe eine gesunde Entschleunigung erlebt. Die freie Zeit nutzt der Vater von drei erwachsenen Kindern, um mehr in der Bibel zu lesen, auch um Kurzandachten und Texte zu schreiben: »Ich finde inzwischen zu jeder Lebenssituation ein Bibelzitat.«
Warum Freundschaften wichtig sind
Besonders schätzt es Fuhrländer, dass er Freunde hat. Dazu zählt etwa der frühere CVJM-Weltdienst-Mitarbeiter Fritz Pawelzik (86), der viele Jahre in Afrika gelebt hat und vom Ashanti-Stamm in Ghana 1994 sogar zum Häuptling gewählt wurde. Er ist im Ruhestand extra aus dem Ruhrgebiet nach Waigandsheim umgezogen - der Freundschaft wegen. Die beiden treffen sich fast täglich, um über alles zu reden - auch über Enttäuschungen und Selbstzweifel. Beide haben zusammen sogar eine Afrikareise unternommen, obwohl Pawelzik auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Kein Problem: Fuhrländer hat ihn geschoben.
Der Unternehmer hat seine Firma verloren, nicht aber seine Leidenschaft, die Welt zum Guten zu verändern, und auch nicht seine Freunde in aller Welt. Er ist gut vernetzt. Seine Kontakte nutzt er heute als freiberuflicher Firmenberater. Darüber hinaus ist er auch als Vortragsredner in Kirchengemeinden wie in Unternehmen tätig. Ein früherer Lieferant hat ihn eingeladen, über den Umgang mit Krisen zu sprechen. Das hat ihn gefreut.
Immer noch beeindruckt ist er von einer Einladung zum Tollwood-Festival 2012 in München. Neben Musik gibt es bei der Veranstaltung auch einen Markt der Ideen. Damals ging es um nachhaltiges Wirtschaften, um die Energiewende, um soziales Engagement. Da kennt er sich aus. Mit dabei war auch Auma Obama, die ältere Halbschwester des US-Präsidenten. Die in Kenia lebende Germanistin und Journalistin würdigte Fuhrländer in einer Gesprächsrunde als Idealisten, der nur nicht die richtige Unterstützung gehabt habe. Er habe sich aber für »eine gute Sache« engagiert. Dass er dabei als Unternehmer gescheitert sei, interessierte auf dem Festival niemanden.
Fuhrländer räumt ein, dass er sich dort sehr wohlgefühlt habe. Für einige Stunden habe er seine Probleme vergessen können. Im Westerwald fühlt er sich weiter zu Hause. Inzwischen begegnen ihm die Menschen wieder so wie früher - mit Wertschätzung. Sie danken ihm für das, was er geleistet hat. Und nicht wenige gehen sogar davon aus, dass er als Unternehmer wieder etwas unternimmt. Sie haben ihm zugesagt: »Wenn du etwas Neues tust, vergiss mich nicht. Ich mache mit.«