Ein laues Lüftchen weht über den Starnberger See, auf den Tischen wartet ein üppiges Buffet auf die Gäste, aus dem Konzertsaal erklingt Jazzmusik: Zum zweiten Mal hat Landesbischof Christian Kopp am Mittwoch zum Jahresempfang der bayerischen Landeskirche in das Schloss Tutzing eingeladen.
Unter dem Titel "Zwischen Anspruch und Empfindlichkeit" soll es an dem Abend darum gehen, wie die Menschen heute streiten, glauben, fühlen. Herzlich begrüßt der Bischof die rund 200 Gäste aus Politik, Wissenschaft, Kultur, Medien und Religion.
Kopp: Heutige Zeit von großen Zumutungen geprägt
Die heutige Zeit sei geprägt von großen Zumutungen, sagt Kopp:
"Menschen reagieren emotional und sehr sensibel: manche verletzt, manche wütend."
Die einen reagierten, indem sie auf andere losgehen, die anderen, indem sie sich zurückzögen, wiederum andere suchten neue Formen des Ausgleichs. Der christliche Glaube lade dazu ein, Spannungen auszuhalten und Brücken zu bauen, so Kopp. Die Kirche wolle eine Gesellschaft mitgestalten, in der Haltung zähle und nicht Lautstärke.
Staatsminister Markus Blume spricht noch ein Grußwort für die Staatsregierung, dann treten auf: Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach, der Theologieprofessor Jörg Lauster, als Moderatorin steht die Journalistin Caro Matzko auf der Bühne. Sie liefern in der folgenden Stunde eine launige Mischung aus Literaturtrio und Laberpodcast. Matzko projiziert skurrile Memes, Videos und Zitate aus den sozialen Medien an die Wand und konfrontiert die Wissenschaftler mit Begriffen wie Relevanzverlust, Achtsamkeit oder Frustrationstoleranz. Die drei auf dem Podium sind ein gutes Team, sie spielen sich den Ball zu und sind im besten Sinne unterhaltsam – wozu auch die Running Gags über Staatsminister Blume und Karl Dall beitragen.
"Wir wollen uns heute mal ehrlich machen", steigt Reuschenbach in die Diskussion ein und outet sich "gleich mal" als Katholikin, die an der "hochindividualisierten Gesellschaft" leidet. Sie erklärt, dass Jugendliche keineswegs politikverdrossen seien, aber den Glauben daran verloren hätten, dass es ihren Kindern besser gehen werde. Anschaulich erläutert sie, weshalb Demokratisierungsprozesse so anstrengend sind und es die Sache nicht leichter macht, wenn Menschen ihre Identität über die Individualität bilden und nicht mehr über das Kollektiv.
Achtsamkeit oder Egoismus?
Der bunte Reigen der Begriffe, die im Laufe des Abends diskutiert werden, bleibt kursorisch, leider nutzt die Moderatorin nicht die Chance, mal in die Tiefe zu tauchen und nachzuhaken. Achtsamkeit, so beginnt Matzko eines der Themen, löse bei ihr Aggressionen aus, weil sie das Gefühl habe, dass Achtsamkeit mit Egoismus verwechselt werde.
Dem stimmt Lauster zu und redet sich in Rage: "Es regt mich auf, dass wir so eine hammermäßig egozentrische Gesellschaft geworden sind", klagt er und warnt vor den möglichen Folgen für die Demokratie, doch bevor hier mal weiter diskutiert wird, geht es, schwupps, schon weiter zum nächsten Stichwort: "Abgehängt". Reuschenbach steigt wieder ein und meint, genau diesem Begriff könne die Politik sehr konkret etwas entgegensetzen - doch nun fehlt wieder die Nachfrage, was das denn sein könnte.
Was Erfolg ist, will Moderatorin Matzko nun wissen, sie erzählt von ihrer Erfahrung mit Anorexie und von ihrer Erkenntnis, dass Teilen von Misserfolgen auch ein Erfolg bedeuten kann: "Ich kann damit Liebe geben", meint sie. Was Lauster bestätigt, und, ganz Theologe, ergänzt: "Erfolg ist pures Glück", sagt er, "es ist etwas, das wir geschenkt bekommen." Herkömmliche Kriterien für Erfolg seien lächerlich, weil sie absolut unbeständig seien. Erfolg sei eine Kraft, über die die Menschen nicht verfügten, und dies müsse in Dankbarkeit münden.
Zum Abschluss geht die Moderatorin aufs Ganze. Was denn die Sinnhaftigkeit des Lebens ist, will sie noch mal eben kurz wissen. Lauster verzieht das Gesicht und konstatiert: "Immer wenn es um Sinnhaftigkeit geht, sollen das die Theologen richten, aber das ist nicht zu schaffen", lächelt er.
Auf die Frage, warum die Kirche nicht mehr Lebensberatung anbiete, wenn doch Coachings und Achtsamkeitskurse so einen Erfolg hätten, kontert er vehement: Kirche biete Seelsorge an, das sei Zentrum ihrer Arbeit. Doch anders als in der Lebensberatung gehe es immer um den Verweis auf die Transzendenz:
"Es gibt eine Kraft, die ist größer als du selbst. Das macht den entscheidenden Unterschied."
Schluss ist, das Buffet wartet. Für anregenden Gesprächsstoff haben die Äußerungen der drei Redner*innen jedenfalls gesorgt. Bis spät in die Nacht diskutieren die Gäste in den Salons, genießen die köstlichen Speisen der Schlossküche, wechseln ein knappes Wort mit dem Bischof, der fröhlich lächelnd durch die Räume geht. Oder sie spazieren zum See und werfen einen - vielleicht achtsamen - Blick ins dunkle Blau.
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Wer wir da eingeladen. Die…
Wer wir da eingeladen.
Die Menschen welche noch den Gottesdienst besuchen am Sonntag?
Es ist schon eine abgehobene Diskussion.Für ein bestimmtes Klientel.
Für wen interesant?