Jetzt knistern sie wieder in vielen Gärten: Grills. Und auf den meisten brutzeln dann vor allem Würstchen und Steaks. Der Moraltheologe Michael Rosenberger selbst isst nur sehr selten Fleisch - und hält den Konsum von billigem Fleisch aus Massentierhaltung theologisch und philosophisch für ein Problem: Der 57-jährige Professor glaubt, dass sich das männliche Rollenbild ändern muss, um den Fleischkonsum in den Industrieländern nachhaltig zu senken. Der gebürtige Kitzinger ist seit 1987 Priester der Diözese Würzburg und seit 2002 Lehrstuhlinhaber an der katholischen Privat-Universität im österreichischen in Linz.

 

Herr Rosenberger, wann haben Sie zum letzten Mal ein Steak vom Grill gegessen?

Rosenberger: Das ist schon lange her! Ich kann es wirklich nicht genau sagen, einige Jahre auf alle Fälle. Ich esse grundsätzlich sehr wenig Fleisch - wenn es eine vegetarische Alternative gibt, nehme ich in der Regel die. Strenger Vegetarier bin ich aber nicht. Bevor mir nämlich nur die Beilagen blieben, esse ich auch mal Fleisch.

Es spricht also auch aus moraltheologischer Sicht nichts gegen das Fleischessen?

Rosenberger: Nein. Das hat damit zu tun, dass wir als Menschen vom Lebendigen leben müssen. Wir Menschen - als Säugetiere - kommen aus diesem Zwang oder Kreislauf nicht heraus, Lebendiges zu essen, egal ob es Tiere oder Pflanzen sind. Man muss ehrlich sein: Pflanzen sind auch intelligent, sie kommunizieren miteinander, sie nehmen ihre Umgebung wahr - also ist auch Pflanzen Essen nicht unproblematisch.

Sie sind dafür, den Fleischkonsum deutlich zu reduzieren. Wie lässt sich das theologisch begründen?

Rosenberger: Theologisch ist das eher schwierig, primär ist das eine philosophische Argumentation mit Blick auf unser Ökosystem. Zum einen trägt die Tierhaltung zu 10 bis 15 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen weltweit bei - das heißt: auch hier muss man reduzieren. Und es stellt sich die Frage der Tierhaltung selbst. Geht man nur nach dem Tierwohl, müsste es immer Weidehaltung sein. Die allerdings ist, wenn sie nachhaltig betrieben wird, immer extensiv und bringt nicht die Menge an Fleisch, die heute von den Menschen gegessen wird.

Sie sagen, Männer essen Studien zufolge mehr Fleisch und das liege am Rollenbild. Inwiefern?

Rosenberger: Es hat sich über Jahrhunderte ein Rollenbild entwickelt, demzufolge es gut ist, wenn Männer viel Fleisch essen und Frauen wenig. Man kann nun schwer einfach dem Nachwuchs sagen: Bub, iss weniger Fleisch - die Erwachsenen müssten es ihm auch vorleben. Das ist ein Prozess, der womöglich sogar mehrere Generationen dauert.

Wenn man die Prognosen der Klimaforscher nimmt, haben wir nicht mehr so viel Zeit. Wie kann man das beschleunigen?

Rosenberger: Die Vorbildfunktion ist eine Möglichkeit, aber man kann das auch auf anderen Wegen unterstützen. Das männliche Rollenbild ist keine reine Erziehungsfrage, sondern auch gesellschaftlich geprägt. Eltern können ihren Jungs durchaus mitgeben, dass man nicht nur ein ganzer Mann ist, wenn man die größte Fleischportion isst. Da gilt es natürlich auch, das Selbstbewusstsein der Jungs zu stärken. Sie werden es als "Wenig-Fleisch-Esser" erst einmal nicht so leicht haben.

Theologe Rosenberger im Interview über die kulturelle Prägung beim Fleischessen

Es gibt Studien, wonach Fleisch essende Männer von Frauen als besonders attraktiv angesehen werden.

Rosenberger: Ja, das ist in den Industrieländern so, da gibt es gleich mehrere empirische Untersuchungen dazu. Das "Fleisch-Programm" sitzt tief in uns drin - ganz unbewusst: Die meisten Frauen finden die Männer attraktiv, die viel Fleisch essen. Und die meisten Männer finden die Frauen anziehend, die wenig Fleisch und lieber Salat essen. Auch an diesen Bildern von Attraktivität können wir arbeiten. Kurzum:

Wir müssen weg vom "Fleischessen-ist-sexy"-Männerbild. Das ist auch eine Frage medialer Vorbilder, das weiß man ja vom Rauchen. Wenn der "Good Guy" in einem Kinofilm raucht, wird das durchaus nachgeahmt.

Sie haben sich viele Studien angesehen - wie ist demnach der durchschnittliche männliche Fleischesser?

Rosenberger: Ja, da gibt es verschiedene Tendenzen. Die jüngere Generation isst schon mal weniger Fleisch als die Älteren - da hat ein gewisser Bewusstseinswandel eingesetzt, weniger bezogen auf das Thema Fleischessen, als auf das Männerbild insgesamt. Männer heute sind sanfter und gesundheitsbewusster, der Fleischkonsum hat sich da quasi als positiver Nebeneffekt reduziert. Auch Bildung ist ein Faktor: Je höher der Bildungsrad, desto geringer der Fleischkonsum...

...wie kommt das? Denken gebildetere Menschen mehr über die Folgen ihres Essverhaltens nach?

Rosenberger: Bei manchen ist das sicherlich ein Grund, ja - aber nicht bei der Masse. Man muss die Argumentation eher umdrehen: Bei den weniger gebildeten und damit auch oft sozial schwächeren Menschen gilt Fleischkonsum als Zeichen dafür, dass man sich etwas leisten kann, dass man dazugehört. Fleisch ist Wohlstandssignal und Statussymbol. Das ist gerade bei billigem Massentierhaltungsfleisch natürlich Unsinn.

Das heißt, die Lebensmittelindustrie hat dieses Problem selbst geschaffen?

Rosenberger: Nein, nicht erschaffen, aber gezielt befördert.

In der germanischen Kultur gilt schon seit Tausenden Jahren, dass der Konsum von Fleisch ein gewisser Luxus ist.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass vor Erfindung der heutigen Möglichkeiten, Lebensmittel lange haltbar zu machen, die Menschen nördlich der Alpen gerade in den Wintermonaten darauf angewiesen waren, Fleisch zu essen - sonst mussten sie hungern. Es gab schlichtweg kaum Obst und Gemüse mit Ausnahme lagerfähiger Wurzeln, Knollen oder Kohlköpfe.

Das heißt, der Fleischkonsum im Winter war eine Überlebensfrage?

Rosenberger: Ja. Wer viel Fleisch hatte, ist gut durch den Winter gekommen, wer nicht, der nicht. Übrig geblieben ist davon bis heute noch die Meinung, dass großer Fleischkonsum etwas mit Wohlstand zu tun hat. Seine Auswüchse hat das ganze dann in Essenswettbewerben gefunden, wie etwa, wer die meisten Schnitzel in kürzester Zeit isst.

Sie sagen, Menschen mit mehr Selbstbewusstsein können leichter vegetarisch leben. Wie meinen Sie das?

Rosenberger: Wir befinden uns ja noch in einer Übergangsphase. Also: Der große Fleischkonsum steht zunehmend in der Kritik, aber es gibt eben noch viele, die daran festhalten - aus den oben genannten, oft eher unterbewussten Gründen. Das heißt dann eben auch, dass man sich manchmal noch einen dummen Spruch anhören muss. Man ist halt der "Körnerfresser", und das verkraften Selbstbewusste besser.

Früher wurden religiöse Essensvorschriften ja sehr genau beachtet. Wäre das heute auch aus Klimaschutz-Sicht hilfreich?

Rosenberger: Unbedingt. Diese Essens-Rhythmen sind ja nicht ohne Grund entstanden. Sie haben jetzt nicht originär ihren Ursprung in der Bibel, aber eben in der gelebten Glaubenspraxis. Ich denke mir das in jedem Jahr wieder, wenn ich die Menschen in der Fastenzeit vor den Eisdielen Schlange stehen sehe. In der orthodoxen Kirche werden die Fastenvorschriften nach wie vor sehr genaugenommen.

Uns würde so ein regelmäßiger fleischfreier Freitag zum Beispiel auch sehr gut tun.

Verstehen Sie dann die Aufregungen, wenn mal wieder über einen "Veggie Day" diskutiert wird?

Rosenberger: Ja und nein. Es ist noch keine drei Jahrzehnte her, da gab's auch in vielen Restaurants am Freitag kein Fleisch, zumindest auf der Tageskarte. Das war völlig normal und akzeptiert. Die Debatte um den "Veggie Day" war völlig schief - er sollte ja nicht verpflichtend sein, sondern bloß eine Anregung für Kantinen und Restaurants. Ich fände es Klasse, wenn es so etwas gäbe. Das würde nämlich bedeuten, dass die Küche kreativ sein muss. Mit vegetarischen Beilagen alleine wäre die Mehrheit schließlich nicht zufrieden...

Wie lässt es sich erklären, dass sich die Menschen beim Thema Auto, Urlaub, Fleischkonsum so schnell bevormundet fühlen?

Rosenberger: Weil es da um Statussymbole bestimmter Gruppen in der Bevölkerung geht. Und am eigenen Status lässt man sich nicht gerne kratzen. Man will anderen ja kundtun, was man sich leisten kann. Egal ob es nun das schicke Auto, die drei Urlaubsflüge pro Jahr oder eben der Konsum von Fleisch ist. Und all das ist zunehmend problematisch.

Welche Rolle können die Kirchen bei diesem Prozess einnehmen?

Rosenberger:

Kirchen und Religionen sind in gewisser Weise "Lebensstil-Organisationen". Sie können und sollten nicht nur, sie müssen als Vorbild auftreten.

Da geht doch um Fragen wie: Bin ich erst etwas wert, wenn ich mir bestimmte Statussymbole leisten kann, oder weil ich von Gott geliebt und angenommen bin, wie ich bin? Die Schöpfung ist ja ein Geschenk, eine Leihgabe, die uns anvertraut ist - auf sie müssen wir besonders achten. Das sollte wieder mehr in den Blick gerückt werden.

Das heißt konkret?

Rosenberger: Das betrifft kirchliche Einrichtungen: Wie wird in den Bildungshäusern, den Seniorenzentren sowie den Kitas in kirchlicher Trägerschaft gekocht - und was wird beispielsweise auf den Pfarrfesten angeboten? Muss es immer die Bratwurst und das Steak sein, oder darf es auch mal eine vegetarische Alternative sein. Das ist derzeit weniger ein Nicht-Wollen, sondern ein Nicht-Darüber-Nachdenken. Da lässt sich sicherlich noch einiges bewegen.