Eigentlich bin ich eine ganz positiv eingestellte Person. Ich lache gerne, ich habe gute Freunde und Freundinnen, und meine Arbeit macht mir Spaß.
Aber seit einiger Zeit fühle ich mich von all dem, was in der Welt passiert, verunsichert und manchmal wie überwältigt. Ich habe Angst wegen der Zukunft, wie das wird mit dem Klimawandel – es gibt so viele, die einfach behaupten, den gäbe es nicht. Ich habe Angst vor Kriegen und habe Angst, dass die sozialen Systeme, auf die wir uns bisher verlassen konnten, zusammenbrechen.
Ich bin 22, es fühlt sich für mich an, als müsste ich hineinwachsen in eine Welt, die voller Trümmer ist ... Ich weiß nicht, wie das gehen soll – und schon gar nicht weiß ich, ob ich in so einer Welt Kinder bekommen will. Wenn mein Freund versucht, mir solche Gedanken auszureden, dann fangen wir an zu streiten, und alles wird nur noch schlimmer.
"But we’re absolute beginners / With eyes completely open / But nervous all the same … – Wir sind völlige Anfänger, mit weit geöffneten Augen, und dennoch nervös": Das singt der britische Popmusiker David Bowie (1947-2016) irgendwo – und ich finde es beeindruckend, wie klar und offen Ihre Augen sind. Es ist doch auch kein Wunder, dass einen das, was man da sieht, nervös macht …
Es hat deswegen überhaupt keinen Sinn, sich das ausreden zu lassen, was Sie da wahrnehmen. Im Gegenteil: Manchmal hilft es, genauer hinzugucken. Die Diskussionen zu erkennen, die um jeden einzelnen der Punkte, die Sie andeuten, geführt werden, die unterschiedlichen Positionen wahrzunehmen und zu spüren, dass da andere sind, die sich genauso Sorgen und Gedanken machen wie Sie. Sie, wir alle finden uns vor in einer Welt, die uns braucht.
Was können Sie tun? Die kurze Antwort lautet: Fangen Sie einfach da an, wo Sie gerade stehen. Reden Sie über Ihre Befürchtungen mit Ihren Freundinnen und Freunden, schauen Sie, ob es in Ihrer Umgebung kirchliche, soziale, politische Gruppierungen gibt, die sich treffen, um gemeinsam etwas zu verändern. Vielleicht entdecken Sie gemeinsame Ziele – auch wenn oft gar nicht klar ist, ob und wie diese Ziele erreicht werden können.
Mir ist bei Ihrer Frage auch noch die Philosophin Hannah Arendt eingefallen. Sie hat immer wieder nachgedacht über die Haltung, die Einstellung, die uns fähig macht zu handeln. "Natalität" gehört zu den Schlüsselwörtern ihres Denkens. Damit meint sie, dass das Hineingeborenwerden in die Gesellschaft wie eine zweite Geburt ist, durch die wir unseren Platz in der Welt einnehmen, anderen begegnen und uns mit ihnen auseinandersetzen.
Vielleicht ist es ja so eine Art "zweite Geburt", vor der Sie jetzt stehen. Sie ist, genauso wie die erste, ein Schritt ins Ungewisse. Hannah Arendt ist überzeugt davon, dass jeder bzw. jede in diesem Sinn Neugeborene die Fähigkeit hat, zu handeln, etwas zu tun, nicht nur ein Anfang zu sein in der Welt, sondern selbst einen Anfang zu machen. Dabei zählt jeder kleine Schritt – und womöglich fängt es genauso an, wie Sie es beschreiben: mit genauem Hinschauen, die Augen ganz offen.