Die reichen Länder trügen eine moralische Verantwortung dafür, mehr geflüchtete Menschen aus Krisen- und Kriegsländern offenherziger als bisher aufzunehmen, sagte der evangelische Theologe Christoph Picker bei einer digitalen Podiumskonferenz zur Flüchtlingspolitik in der EU.

Eingeladen zu der Veranstaltung unter dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn - Ethik und Moral versus Realpolitik in der Flüchtlingsfrage" hatte der Verein "Junges Europa" an der Universität Regensburg.

Flüchtlingsaufnahme in der EU

Deutschland müsse in der EU darauf hinwirken, dass die bei der Flüchtlingsaufnahme völlig überforderten Länder Italien, Spanien und Griechenland mehr Hilfe bekämen, sagte Picker, der ein Buch zur Flüchtlingsethik veröffentlicht hat.

Die Länder Europas dürften sich nicht weiter gegenüber Flüchtlingsbewegungen abschotten, wie es der von der EU-Kommission vorgeschlagene Migrationspakt vorsehe.

"Wir müssen mehr Menschen Schutz bieten in Europa, wir können das", sagte Picker.

Picker bezeichnete es als unlösbares "Dilemma", dass nicht alle nach Europa strebenden Flüchtlinge aufgenommen werden könnten. Moralische und ethische Erwägungen müssten die realen Bedingungen berücksichtigen, etwa begrenzte Aufnahmekapazitäten und die mangelnde Aufnahmebereitschaft der Gesellschaften.

Picker mahnte in der Flüchtlingspolitik eine sensible Wortwahl an, um Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht weiter anzuheizen.

Flüchtlingspolitik

Im humanitären Umgang mit Flüchtlingen blieben die Menschenrechte die moralischen Grundfeste, sagte Sigrid Graumann, die Rektorin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Allerdings stehe die Flüchtlingspolitik in der EU "vor dem Bankrott", sagte Graumann, die Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.

Die Mauern gegenüber den Ankommenden würden immer weiter hochgezogen. Eine grundlegend neue Flüchtlingspolitik müsse auch zum Ziel haben, die Lebenssituation der Menschen in ihren meist armen Herkunftsländern zu verbessern und damit auch Fluchtursachen zu verhindern.

Boris Palmer

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) erneuerte seine umstrittenen Forderungen, den Flüchtlingszuzug nach Europa zu begrenzen und straffällig gewordene Flüchtlinge mit härteren Strafmaßnahmen zu begegnen. "Wir müssen stärker schon an der Grenze bestimmen, wen wir nach Europa lassen", sagte Palmer.

Es sei unmöglich, allen Menschen zu helfen. Die Politik dürfe mit Blick auf das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger nicht ausblenden, dass fünf Prozent der Flüchtlinge, fast ausschließlich junge Männer, straffällig würden. Die Bewegungsfreiheit von Mehrfachtätern müsse eingeschränkt werden, sagte Palmer. Der Rechtsstaat erweise sich aber als "zahnlos".