Große deutsche Firmen haben während des Zweiten Weltkriegs das Angebot der Nazis genutzt, ihre Produktion mit Hilfe von Zwangsarbeitern aus den Konzentrationslagern am Laufen zu halten.
Mitte Oktober 1944 hatten Vertreter der Siemens-Schuckertwerke im KZ Auschwitz-Birkenau 550 ungarische Jüdinnen ausgesucht, die in den Fabrikhallen Bombenzünder bauen mussten oder im Trafo- und Zählerwerk beschäftigt wurden.
Einige waren auch zum Schneeräumen oder Schneidern eingeteilt, wie Historiker Alexander Schmidt vom Nürnberger Doku-Zentrum in seinem Beitrag zu der Aufsatzsammlung "Von Auschwitz nach Nürnberg" erzählt.
Ein heimlich verfasstes Tagebuch als seltene Quelle
Schmidt hat auch einen Lageplan des einstigen Barackenlagers gegenüber dem Eingang zum Nürnberger Südfriedhof im Nürnberger Stadtarchiv gefunden und erstmals in dem Buch veröffentlicht. Wie es im Lager zuging, das offiziell als Außenlager des KZ Flossenbürg geführt wurde, weiß man heute nur aus mühsam recherchierten Quellen wie der von Insassin Ágnes Rósza, die heimlich Tagebuch geführt hatte und es später in ihrer Heimat Ungarn veröffentlichte.
"Hinter dem Eisernen Vorhang, und dann auch noch auf Ungarisch - lange blieben uns solche Innenansichten verschlossen", erklärt Schmidt die schwere Spurensuche der Initiatoren des Buchs.
Zu ihnen zählen etwa der Herausgeber "Bunter Tisch Gartenstadt und Siedlungen Süd" oder der Verein "Geschichte für Alle". Erzählt wird von unmenschlichen Lebensbedingungen, Schlägen und Tritten durch die Aufseherinnen, die sich nach dem Krieg teils vor Gericht verantworten mussten, wie Historikerin Nadja Bennewitz beschreibt.
Das Wirken der Firma Siemens
Kopfschüttelnd hinterlässt den Leser der Beitrag von Ulrich Fritz über das Wirken der Firma Siemens während des Nationalsozialismus. Leitende Angestellte wie Carl Knott oder Georg Grieshammer waren direkt mit dem Thema Zwangsarbeit verstrickt und konnten ihre Karrieren nach 1945 nahezu unbehelligt fortsetzen.
Erzählt wird aber auch vom Wiederaufbäumen der Überlebenden nach dem Krieg wie der Gefangenen Magda Watts, die ihre Erlebnisse künstlerisch mit selbst hergestellten Puppen verarbeitete.
Nach dem verheerenden Luftangriff auf Nürnberg vom 2. Januar 1945 und bei einem weiteren am 21. Februar, bei dem das Lager beinahe vollständig zerstört worden war, wurden die Ungarinnen zum Aufräumen von Trümmern im zerbombten Nürnberg eingesetzt. Anfang März wurden sie in weitere Flossenbürger Außenlager verbracht. Dort wurden sie dann befreit.
Gedenktafeln
Die Baracken, die jahrelang zum Bild der Nürnberger Gartenstadt gehörten, verschwanden. Gedenktafeln und -steine am Südfriedhof sowie zwei Erinnerungstafeln vor den neuen Wohnanlagen in der heutigen Julius-Loßmann-Straße erinnern erst seit wenigen Jahren an die KZ-Zwangsarbeit jüdischer Frauen. Die Firma Siemens beteiligte sich an den Kosten für die Tafeln und das Buch.
"Die Geschichte des Lagers gehört zu den dunklen Seiten der Siemens-Geschichte im Dritten Reich. Wir wollen uns an der Aufarbeitung beteiligen und die Lehren aus der Geschichte auch unseren Mitarbeitern und unserem Nachwuchs näherbringen", sagt Unternehmenssprecher Bernhard Lott.
In internen Medien wie der Mitarbeiterzeitung berichte man über die Erinnerungsstätte und die Veranstaltungen des Vereins "Bunter Tisch Gartenstadt": "Aber auch unsere jüngsten Mitarbeiter, die Auszubildenden, wollen wir im Zuge ihrer gesellschaftlichen Bildung über das Lager und die Umstände informieren. Die konkreten Maßnahmen befinden sich derzeit noch in der Planungsphase."
Offener Umgang mit der Vergangenheit
Einige Unterlagen zum Außenlager gebe es im Siemens Historical Institute in Berlin. Frank Hotze vom "Bunten Tisch" und Alexander Schmidt vom Doku-Zentrum Nürnberg waren Anfang des Jahres dort, um Unterlagen einzusehen und zu kopieren. "Wir haben mit unserem Projekt bei Siemens offene Türen eingerannt", sagt Schmidt.
Die Firma gehe offen mit ihrer Vergangenheit um, auch mit diesem unrühmlichen Teil. "Siemens ist ebenso wie die vielen anderen Firmen, die während der NS-Herrschaft Zwangsarbeit in Anspruch genommen haben, eher heutzutage dafür verantwortlich zu machen, was sie tun", meint Schmidt.
Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion rund um das Lieferkettengesetz könnten solche Unternehmen beweisen, dass sie aus diesen Zeiten gelernt haben. Zwangsarbeit geschehe heute noch in vielen Winkeln der Welt. "Wenn die Unternehmen aus den Erfahrungen von damals gelernt haben und die Menschen, die für sie arbeiten, heute besser behandeln, dann hatte das Leiden der ungarischen Jüdinnen zumindest noch etwas Sinn."