Nur einer bereitet Felizitas Böcher noch Probleme – und das ist Willi Astor. Die Wortwitze des bayerischen Comedian kommen bei der gehörlosen jungen Frau einfach nicht an. "Mein Mann muss sie mir übersetzen und dann sind sie nicht mehr witzig", sagt die 34-Jährige vergnügt. Ach ja, und die neue Pfarrerin von Barthelmesaurach (Landkreis Roth) kann auch nicht besonders gut singen. "Ich werde wohl nie einen Chor leiten können", sagt sie schon wieder schmunzelnd.

Felizitas Böcher im T-Shirt mit der Aufschrift "C.I.A. – Christ in Action" sitzt in der Stadtkirche in Roth, wo sie ihr Vikariat absolviert hat. Der Einsatzort war kein Zufall, denn erster Pfarrer hier ist Joachim Klenk, der 20 Jahre lang für die Gehörlosenseelsorge in der bayerischen Landeskirche zuständig war. Zum Schluss der Ausbildung sei das aber nebensächlich gewesen, sagt Böcher, sie habe ganz normal Dienst gemacht, ganz normal zum Team dazugehört.

Mit Disziplin, Wille und Sturheit zum Ziel

Die jugendlich aussehende Frau greift sich ins Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hat, und holt hinter ihrem Ohr ein Cholea-Implantat der neuesten Generation hervor. Sie zieht den Akku aus dem runden Gerät und setzt ihn wieder ein, schwärmt von modernen Prozessoren, der Fernbedienung und den Programmen. Wie eine Pfarrerin mit Gehör kann sie mit dieser Technik bei einem Kirchengemeindefest dazugehören und hören, auch wenn Musik, ratschende Gäste und klapperndes Geschirr durcheinander schwirren. "Vor 20 Jahren wäre das nicht gegangen. Da war die Technik noch nicht so weit", sagt die Theologin.

Aber das ist nur die eine Seite: Disziplin, Wille und Sturheit haben die gebürtige Westfälin da hingebracht, wo sie heute ist. "Ich wollte mir vom Leben nicht verbieten lassen, zu erreichen, was ich möchte." Das Gehör zu verlieren war für sie mehr Ansporn als ein Schicksalsschlag. "Es war fast wie ein spannendes Rätsel, ob ich es schaffen würde", erklärt sie.

Auf Behinderung wurde keine Rücksicht genommen

Schon in ihrer Kindheit war Felizitas Böcher schwerhörig. Die Tochter eines Starkstromelektrikers und einer Erzieherin in Nordrhein-Westfalen hatte eine schwierige Schulzeit, weil die Lehrer auf ihre Behinderung kaum Rücksicht nahmen. Das Abitur aber schafft sie, "weil ich Spaß am Lernen hatte". Damals weiß sie selbst noch nicht, dass Pfarrerin für sie der ideale Beruf ist. Während sie Bücher über religiöse Themen verschlingt, macht sie zunächst eine Ausbildung zur Informatik-Assistentin.

Sie wechselt zur Theologie, aber dann verschwindet ihr Gehör ganz. Böcher beschreibt einen skurrilen Selbstversuch: An einer Straßenbaustelle habe sie sich neben einen Arbeiter mit Presslufthammer gestellt und nur ein leichtes Summen vernommen. Da wusste sie, dass sie gar nichts mehr hört.

Leichtigkeit in das Thema Inklusion und Teilhabe

Drei Sprachen müssen angehende Pfarrer an der Uni lernen: Griechisch, Hebräisch und Latein. Felizitas Böcher musste ganz nebenbei auch noch die Gebärdensprache lernen. In diesem "konfusen" Studium habe sie gelernt, das Gleichgewicht zwischen Stress und Entspannung zu halten, habe gelernt, was sie zu leisten imstande ist, erklärt sie. "Keiner wusste, ob es funktionieren würde", sagt Felizitas Böcher nun mit ihren beiden Examen in der Tasche. Auf Skepsis, ob eine gehörlose Frau Pfarrerin werden könne, sei sie anfangs auch im Predigerseminar gestoßen. "Da habe ich die vollgelabert und sie sind aufgetaut" – diese Frau bringt eine Leichtigkeit in das Thema Inklusion und Teilhabe, über die man mit offenem Mund staunen kann.

Die Gemeinde in Roth, in der sie ihre Ausbildung machen konnte, "war schon auf dem Weg in Richtung Inklusion", stellt sie fest. An den Gottesdiensten dort nehmen immer wieder Menschen mit geistiger Behinderung aus Einrichtungen der Lebenshilfe oder der Rummelsberger Diakonie teil und die anderen Gottesdienstbesucher würden sich nicht daran stören, wenn die im Kirchenraum herumliefen und an unpassender Stelle einmal ein lautes Amen rufen. Die junge Pfarrerin, die ganz normal sprechen kann, flicht in ihren Predigten auch Gebärdensprache ein. Den göttlichen Schutz und seinen Segen hat jeder vor Augen, wenn Frau Pfarrerin auf der Kanzel ihren ganzen Arm hebt und ihre flache Hand über dem Kopf schweben lässt. Und mit einer Art weiter Schwimmbewegung verteilt sie über den Köpfen diesen Schutz. Für ihre kurzen Predigten und die bildhafte Sprache bekomme sie immer wieder Lob, erzählt sie.

"Weil ich das wollte"

Auch den Religionsunterricht in der Schule hat die gehörlose Frau gemeistert. Das liege wohl daran, dass sie auf den einzelnen Schüler mehr achte als andere Lehrer, um keinen der Beiträge der Jugendlichen zu verpassen. Und auf dieses Aufmerksamkeitslevel hat sich auch die Klasse eingestellt. Der Kirchenvorstand lernte mit der besonderen Vikarin für seine Sitzungen, "die durften nicht mehr alle durcheinanderreden".

Jetzt ist sie angekommen. Felizitas Böcher wird Mitte September in ihrer neuen Kirche in Barthelmesaurach für den Dienst als Pfarrerin ordiniert: "Weil ich das wollte und das Schicksal mitspielte".

TV-Tipp

Bayerns erste gehörlose Pfarrerin

Den TV - Beitrag über die erste gehörlose Pfarrerin der evangelischen Landeskirche in Bayern können Sie sehen in der Sendung:

"Kirche in Bayern" - Das ökumenische Fernsehmagazin

Am Sonntag, den 30.09.2018 um 15.30 Uhr in München TV und um 18.30 Uhr in Franken Fernsehen.

Weitere Sender und ihre Sendezeiten finden Sie unter www.kircheinbayern.de/ausstrahlung