Das Telefonieren ist für Hörende selbstverständlich, für Gehörlose stellt es häufig eine schier unüberwindbare Hürde im Alltag dar. Von Behördenkontakten über Bankgeschäfte bis zur Teilnahme am Gewinnspiel, überall muss man reden, und vor allem häufig übers Telefon.
Peter Fiebig kann davon ein Lied singen. 1.000 Euro hat seine ebenfalls gehörlose Frau bei einem Online-Gewinnspiel gewonnen. Um das Geld zu bekommen, musste man eine Nummer anrufen. Für die Fiebigs nicht möglich. "Wir waren ganz verzweifelt", sagt der bald 70-Jährige in Gebärdensprache. Sie seien dann persönlich zu dem Verlag gefahren. Das Erste, was sie gefragt wurden: "Warum haben Sie denn nicht angerufen?"
In Deutschland gibt es laut der Website des Deutschen Gehörlosen Bundes 80.000 Gehörlose und nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbunds gibt es etwa 16 Millionen Schwerhörige. Während Gehörlose meist von Geburt an völlig taub sind, haben Schwerhörige Hörbeeinträchtigungen in unterschiedlichem Maße und können vieles durch Hörgeräte ausgleichen. Dennoch haben rund 140.000 der Schwerhörigen einen Grad der Behinderung von mehr als 70 Prozent und kommunizieren ebenfalls über Gebärdensprache.
Gebärden als sprachliche Heimat
Zwar verringere sich allmählich die Zahl der Gehörlosen, da man gehörlosen Neugeborenen eine Hörprothese einsetze, das sogenannte Cochlea-Implantat, erklärt Kirchenrätin Cornelia Wolf von der evangelischen Gehörlosenseelsorge in Bayern. Trotzdem sei die Kommunikationsform und die sprachliche Identität nicht nur bei Gehörlosen, sondern auch bei Schwerhörigen die Gebärdensprache, weiß Wolf.
Mit dem Telefon stoße man als Gehörloser ständig an Barrieren, erklärt Fiebig. Doch durch das Mobiltelefon sei vieles besser geworden. "Die SMS war eine Befreiung für die Gehörlosen", sagt er. Und mit dem Smartphone sei es noch mal einfacher geworden. Der gelernte Siebdrucker hat 13 Jahre als Selbstständiger gearbeitet und durch die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten viele Kunden verloren. Heute fühlt er sich viel unabhängiger.
Hermann Barth kann ihm da nur zustimmen. Der 63-Jährige mit dem beeindruckenden weißen Rauschebart ist Feinmechaniker bei Siemens und gehörlos. "Ich kann ja niemanden anrufen, wenn etwas passiert", erklärt Barth die Notwendigkeit eines Smartphones für Gehörlose. Aber auch insgesamt sei der Kontakt zwischen Hörenden und Gehörlosen durch das Handy viel besser geworden.
Wolf weiß, wovon Fiebig und Barth sprechen. Sie erlebt täglich, wie die neuen Medien den Alltag für Gehörlose erleichtern. Vor allem bei dem Kontakt mit Institutionen, aber auch einfach bei der Vereinbarung von Terminen. Ihr sei aufgefallen, dass von den gehörlosen Senioren auffallend viele ein Smartphone und ein Tablet hätten, meint Wolf. Daher will sie in Nürnberg im nächsten Frühjahr Kurse zum Umgang mit Smartphone und Tablet für gehörlose Senioren starten. Ähnlich wie im Evangelischen Bildungswerk in München, das solche Kurse dank der Medienpädagogin Annette Hüsken-Brüggemann bereits anbietet. Auch Fiebig und Barth waren schon bei Hüsken-Brüggemann in der Mediensprechstunde, um sie zu Dingen wie Apps und Facebook zu befragen.
Trotz der vielen Fortschritte findet Fiebig, dass die Medienwelt noch nicht verstanden habe, was es bedeute, gehörlos zu sein. Ständig lese er auf Internetseiten: "Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich an". Für ihn nicht möglich. Hermann Barth nickt, er kennt das Gefühl. Wenn er mal wieder angerufen wird, nimmt er das Telefon nicht ab – es bringt ja nichts. Trotzdem sind beide sehr froh über ihre Smartphones. Am Bahnhof beispielsweise: Dort können sie über die App der Deutschen Bahn den Fahrplan checken – Lautsprecherdurchsagen hören sie schließlich nicht.
Vom Evangelischen Bildungswerk wünschen sie sich noch mehr Kurse, damit Gehörlose tieferen Einblick in die Medienwelt bekommen und damit auch mehr Teilhabe. Und Hüsken-Brüggemann wünscht sich das auch und arbeitet mit Kräften daran.
INFO: Das Evangelische Bildungswerk München plant einen Medientreff für Gehörlose ab März. Infos unter www.ebw-muenchen.de