Dorothee Sölle (1929-2003) gehört zu den einflussreichsten Theologinnen des Protestantismus. Eines ihrer zentralen Lebensthemen war "Gottes Vorliebe für die Armen". Damit wurde sie zu einer der führenden europäischen Befreiungstheologinnen, in Anlehnung an die vor allem in Lateinamerika entstandene Idee einer Kirche der Armen, die sich für die Befreiung der Unterdrückten einsetzt. Die moderne Mystikerin starb am 27. April 2003.
Lebensstationen
Dorothee Sölle wird am 30. September 1929 in Köln als das vierte von fünf Kindern des Ehepaares Hildegard und Hans Carl Nipperdey geboren. Das akademisch-großbürgerliche Elternhaus, ihr Vater ist Juraprofessor und erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts, fördert die geistigen Begabungen der jungen Dorothee.
Ab 1949 studiert sie Philosophie und klassische Philologie, 1951 wechselt sie zur Theologie und belegt auch das Fach Germanistik. 1954 promoviert sie im Fach Literaturwissenschaften und macht ihr Staatsexamen in Theologie.
Ihre erste Ehe mit dem Maler Dietrich Sölle, in der drei Kinder geboren werden, dauert nur zehn Jahre. Bis Ende der 60er Jahre arbeitet sie als Gymnasiallehrerin, freie Journalistin, Universitätsassistentin, Studienrätin. 1965 erscheint ihr Buch "Stellvertretung".
Feministische Theologie für den Frieden
Besonders ihr Nachdenken über eine "Theologie nach dem Tode Gottes" war umstritten. Seit den 60er Jahren engagiert sie sich vor allem auf evangelischen Kirchentagen für die Politischen Nachtgebete rund um die Themen Frieden, Frauen, Ökologie sowie die Kluft zwischen Reich und Arm.
Zeitlebens hatte sie eine Abneigung gegen die - vor allem von Männern geprägte - Kreuzestheologie. Sölle und andere feministische Theologinnen sehen im Kruzifix ein Symbol für männliche Brutalität und Todesverherrlichung.
"Gott wird in die Schuhe geschoben, auf Blut zu stehen", erklärte Sölle. Es ist aber nicht Gott, der dafür sorgt, dass gefoltert wird, wie Sölle betont. Das Kreuz symbolisiere vielmehr das Leiden der Schwachen und Ärmsten.
Kritik und Frömmigkeit
Bei einem heftig umstrittenen ökumenischen Abendmahl am Rande des 94. Deutschen Katholikentags im Jahr 2000 in Hamburg erklärte sie in ihrer Predigt, die Kirchentrennungen des 16. Jahrhunderts dürften heute nicht mehr gelten.
Dorothee Sölle war ihrer eigenen Kirche gegenüber stets überaus kritisch, lebte aber - so berichten Zeitzeugen - eine sehr innerliche protestantische Frömmigkeit. Ein ordentlicher Lehrstuhl wurde der weltbekannten, hochbegabten und habilitierten Frau zeitlebens verweigert.
Sie erhielt lediglich einen Lehrauftrag in Mainz und eine Gastprofessur in Kassel, 1994 dann eine Ehrenprofessur an der Universität Hamburg. Ansonsten lehrte sie Systematische Theologie in den USA.
Mystik
Je älter Dorothee Sölle wurde, desto mehr näherte sie sich der Mystik an. Sie blieb der Kirche gegenüber kritisch, jedoch war sie überzeugt davon, dass die Menschen von Gott berührt werden können.:
"Die Religion des dritten Jahrtausends wird mystisch sein oder absterben", heißt es in einem ihrer Bücher.
Am 27. April 2003 erliegt Dorothee Sölle in Göppingen im Alter von 73 Jahren völlig unerwartet den Folgen eines Herzanfalls. Am Vortag hatte sie noch einen Vortrag gehalten.
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