Doch, sagt Moritz Stondel (Name geändert), er genieße sein Leben in vollen Zügen. Trotz seines Andersseins. Moritz erhielt als Kind die Diagnose "Atypischer Autismus". Er besuchte eine Förderschule und machte im Berufsbildungswerk der Caritas-Don Bosco GmbH in Würzburg eine Ausbildung zum Industrieelektriker. Die Suche nach einem Job war nicht ganz einfach. Doch im April fand der 21-Jährige eine Arbeit, die ihm richtig gut gefällt.

"Für mich ist es ganz normal, so wie ich bin", sagt er. Stondel fühlt sich mit sich selbst nicht unwohl. Er kennt aber auch seine Schwächen: "Mir fällt es schwer, mit Menschen umzugehen." Problematisch sind für ihn Gespräche, in denen sehr persönliche Fragen gestellt werden.

Auch Andreas Öhrlein ist sein ganzes Leben lang "anders" gewesen. "Als Kind liebte ich es, Schiffe zu katalogisieren", erzählt der 41-jährige Würzburger. Als kleiner Junge saß er stundenlang am Main und notierte Länge, Breite und Gewicht der vorbeifahrenden Kähne.

Immer mehr Menschen mit Autismus suchen Hilfe bei der Integration

Die Schulzeit war schwierig, weil Öhrlein ständig bei den Lehrern aneckte: "Ich war in fünf Schulen." Erst vor zwei Jahren erhielt er nach vielen Irrungen und Wirrungen die Diagnose "Asperger-Syndrom". "Davor lag ich zweimal wegen angeblicher Depressionen in der Klinik." Sein größtes Problem ist, dass er auch die leisesten Geräusche hört: "Ich kann nichts wegfiltern." Das sorgte immer wieder bei Schwierigkeiten im Berufsleben. Am seinem neuen Arbeitsplatz darf er glücklicherweise so arbeiten, wie er das möchte. Öhrlein schirmt sich durch Kopfhörer von den anderen ab.

Dass er die neue Stelle fand, hat Öhrlein Stefanie Seynstahl vom Würzburger Integrationsfachdienst (ifd) zu verdanken. Er ist einer von drei Klienten, die Seynstahl derzeit berät. Nach ihrer Beobachtung ist die Zahl der Menschen mit Autismus, die für die Integration in die Arbeitswelt Hilfe benötigen, deutlich angestiegen.

Bis zu einem Prozent aller Menschen weltweit sollen von Autismus betroffen sein. Davon gehen inzwischen mehrere Studien aus. Die Diagnosen häufen sich - vor allem deshalb, weil Autismus heute eher wahrgenommen wird. Um die gesamte Bandbreite autistischer Merkmale abzudecken, wurde 2013 die Kategorie "Autismus-Spektrum-Störung" (ASS) eingeführt. Darunter fällt der sogenannte atypische Autismus, von dem auch Stondel betroffen ist. Das "Asperger-Syndrom (ASS)" war bis Anfang der 1990er Jahre noch keine offizielle Diagnose. ASS umfasst als drittes den "Frühkindlichen Autismus".

Coachings statt drohender Langzeitarbeitslosigkeit

Noch immer ist nicht ganz klar, wo Autismus anfängt, wo er aufhört und was er eigentlich ist. "Letzteres hängt von der Perspektive ab", sagt Fabian Diekmann vom Bundesverband Autismus Deutschland: "In der sozialrechtlichen Zuordnung ist es eine Behinderung, in der medizinischen Klassifikation eine tiefgreifende Entwicklungsstörung." Weil ASS immer bekannter wird, kommt es zu mehr Diagnosen. Deshalb wiederum steigt die Nachfrage nach Angeboten.

Menschen mit Autismus fällt allgemein die Anpassung an Veränderungen schwer. "Sie kommen im Berufsleben schlecht klar", sagt Christine Freitag, Leiterin der Frankfurter Klinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Medizinerin schätzt, dass bis zu 80 Prozent der Betroffenen in der Langzeitarbeitslosigkeit landen. Nach Freitags Überzeugung wäre es viel mehr Menschen mit Autismus und anderen psychischen Krankheiten möglich, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Gelingen könnte das mit einem Coaching, das auf ihre Bedürfnisse eingeht.