Ein Anschlag der Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul hat einen Abschiebeflug aus Deutschland gestoppt.
Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, wurde die Abschiebung wegen der Explosionen "sowohl in der Nähe der deutschen Botschaft, als auch in der Nähe des Flughafens in Kabul" abgesagt. Sie solle aber "zeitnah" nachgeholt werden.
Abzuschiebende, Begleitpersonal und Flugzeugbesatzung dürfen keiner Gefahr ausgesetzt werden
Bei dem Anschlag auf das Haus des afghanischen Verteidigungsministers Bismillah Mohammadi waren kürzlich mindestens acht Menschen getötet worden. Etwa zur selben Zeit sollte in München ein Abschiebeflug mit sechs Afghanen an Bord starten.
Wegen des Anschlags sei unklar gewesen, ob die Übernahme der Männer reibungslos hätte funktionieren können, sagte ein Ministeriumssprecher. Zudem gehöre es zu den grundlegenden Voraussetzungen jeder Abschiebung, dass dabei keine Gefahren für die Abzuschiebenden, das Begleitpersonal und die Flugzeugbesatzung entstehen dürften. Die Afghanen waren nach Angaben des Ministeriums aus der Haft zum Flughafen gebracht und nach Verschiebung des Flugs wieder inhaftiert worden.
Afghanische Regierung bittet um Abschiebestopp
Die afghanische Regierung hatte die EU-Mitgliedsstaaten Mitte Juli wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage um einen Abschiebestopp gebeten. Diese Bitte stehe nach wie vor im Raum, sagte der Sprecher von Innenminister Horst Seehofer (CSU).
Bei der am Dienstag geplanten Abschiebung habe es aber eine Kooperation mit den afghanischen Behörden gegeben. Der deutschen Seite sei es wichtig, dass Straftäter weiterhin abgeschoben werden könnten, fügte er hinzu.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stoppt Abschiebung aus Österreich
Am Montag hatte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit einer Eilmaßnahme nach Artikel 39 der Verfahrensordnung gegen eine Abschiebung aus Österreich nach Afghanistan gewandt.
Artikel 39 wird oft angewendet, wenn unmittelbare Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens droht. Laut der Organisation Pro Asyl sollten die Afghanen aus Deutschland gemeinsam mit Personen aus Österreich abgeschoben werden, die in Wien hinzugekommen wären. Eine dieser Personen war demnach von dem Gerichtsbeschluss betroffen.
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte am Dienstag, dass der Gerichtshof in einem "Einzelfall" in Österreich entschieden habe, weshalb sich der Beschluss nicht auf deutsche Verfahren auswirke. "Es gibt keine allgemeingültige Entscheidung, die für ganz Europa gilt." Aus Deutschland sind 2021 bislang 167 Menschen nach Afghanistan abgeschoben worden.
Gewalt gegen Zivilisten nimmt seit Beginn des Truppenabzugs zu
Am Hindukusch erobern die radikal-islamischen Taliban derzeit immer mehr Territorium. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt vor einem dramatischen Anstieg der zivilen Opfer. So seien seit Beginn des Jahres bis Ende Juni 1.659 Zivilisten getötet und 3.524 Menschen verletzt worden.
Seit Beginn des Truppenabzugs Anfang Mai hat die Gewalt gegen Zivilisten den Angaben nach noch einmal zugenommen. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef teilte in Kabul mit, dass ein zwölfjähriger Junge in der nördlichen Provinz Faryab ausgepeitscht worden sei.
Zuletzt warnte auch das Kinderhilfswerk "Save the Children" vor der zunehmenden Gewalt gegen Jungen und Mädchen. Demnach flohen seit Anfang Juni etwa 80.000 Kinder vor der Gewalt im Land. Friedensgespräche zwischen den afghanischen Konfliktparteien sind ohne Ergebnis geblieben.
Taliban bekannten sich zum Anschlag auf Politiker
Bei den Explosionen vom Dienstagabend handelte es sich laut dem TV-Sender Tolo News zunächst um die Detonation einer Autobombe nahe der Residenz von Verteidigungsminister Mohammadi im Scherpur-Viertel, wo viele wichtige Minister, Politiker und hohe Militärs wohnen.
Nahezu zeitgleich wurde auch das in der Nähe gelegene Haus des Parlamentariers Mohammad Azim Mohseni angegriffen. Mohammadi und Mohseni befanden sich zur Zeit des Attentats nicht in ihren Häusern. Die Taliban bekannten sich zu den Attacken.