Drei Mal hat das evangelische Pfarrer-Ehepaar Susanne Wittmann-Schlechtweg und Andreas Schlechtweg in seiner Kirchengemeinde Hallstadt bei Bamberg in den vergangenen Jahren Kirchenasyl gewährt. Mit dem dritten Fall kam Post von der Staatsanwaltschaft: "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel." Im Gespräch mit sonntagsblatt.de schildert das Pfarrerehepaar, wie es zu den Kirchenasylen kam und warum es gegen eine verhängte Geldbuße Einspruch eingelegt hat. Im August beginnt die Verhandlung.
Erinnern Sie sich noch an das erste Kirchenasyl in Ihrer Gemeinde?
Andreas Schlechtweg: Unser erstes Kirchenasyl war ein junger Iraner. Er ist nach Deutschland gekommen um Asyl zu beantragen, aber aufgrund des Dublin-Verfahrens konnte er dies nicht tun und sollte wieder zurück nach Ungarn. Dort wurde er zuvor körperlich misshandelt, war in riesigen Gemeinschaftszelten mit vielen anderen zusammen eingepfercht und eingesperrt. Außerdem bestand als getaufter Christ Gefahr um Leib und Leben, wenn der junge Mann über Ungarn wieder in den Iran abgeschoben werden würde. Wir haben ihn ins Kirchenasyl genommen und diesen Fall sehr schnell an die zuständigen Behörden gemeldet. Das war 2017, mittlerweile ist er anerkannter Flüchtling, arbeitet als Trockenbauer und ist bei uns nebenamtlich Mesner.
... und gleich ein Jahr später stand das nächste Kirchenasyl an?
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Ja, 2018 im Februar wurden wir angefragt für eine eritreische Frau mit ihrer Tochter, die im Ankerzentrum wohnten und denen die Abschiebung nach Italien drohte. Sie hatten dort erhebliche Gewalterfahrungen gemacht und es war ziemlich klar, dass sie dort wieder in die Obdachlosigkeit gehen müssen. Als sie zu uns kamen, war vor allem die Mutter sehr verschüchtert.
Andreas Schlechtweg: Es gibt auch psychiatrische Gutachten, die das belegt haben. In den ersten Wochen war die Mutter nur im Bett gelegen, völlig apathisch. Ihre Tochter hatte sie im Prinzip aufgrund ihrer Englischkenntnisse vom Südsudan über Libyen bis nach Deutschland gelotst. Da war sie gerade mal 14.
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Es war kein langes Kirchenasyl, weil das eines der wenigen Dossiers war, die anerkannt wurden, das heißt, sie sind ziemlich zügig im Sommer dann ins normale Asylverfahren in Deutschland gekommen, werden aber nach wie vor kirchengemeindlich betreut.
2020 kam dann der Fall, der zum aktuellen Ermittlungsverfahren geführt hat.
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Eine junge Frau kam im Februar ins Kirchenasyl. Der Hintergrund war, dass sie wieder von ihrem Mann getrennt und nach Kroatien abgeschoben werden sollte. Der dringende Wunsch war, dass die beiden miteinander ihr Asyl-Verfahren hier haben. Auf diese Ehe hat sich das Dossier gestützt. Dieses Dossier wurde nicht anerkannt. Aber nach Ablauf der Frist ist die Frau ins deutsche Verfahren gekommen und seitdem gilt sie im deutschen Verfahren als verheiratet.
Bei einem Großteil der Kirchenasyle handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle, also Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellt hat, dass ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Was ist daran so schlimm?
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Das Problem ist, dass es auch bei europäischen Staaten noch lange nicht heißt, dass die Menschrechte gewahrt sind. Wir haben niemanden ins Kirchenasyl genommen, der ausreisepflichtig ist - das heißt, niemanden, der ein abgeschlossenes Verfahren hat und abgeschoben wird, weil es keine Aussicht auf Erfolg hat. So bitter und so hart und so schrecklich es ist, wenn afghanische junge Männer nach Afghanistan abgeschoben werden, aber da können wir nichts machen, auch wenn einem das Herz blutet.
Andreas Schlechtweg: Wir haben das Kirchenasyl vor diesem Hintergrund gemacht und durchgeführt, um Menschen ins deutsche Verfahren zu holen. Das hat ja durchaus etwas mit einer Hochschätzung des deutschen Rechtssystems zu tun.
Jetzt haben Sie Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. Mit der Zahlung einer Geldstrafe von jeweils 4.000 Euro wäre die Sache vom Tisch gewesen. Warum haben Sie das nicht gemacht?
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Mit der Zahlung des Bußgeldes würden wir die Schuld anerkennen. Aber es geht ja genau darum zu sagen, dass es unserer Meinung nach keine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ist, weil wir ja klar alle Regeln befolgt haben. Es geht um eine grundsätzliche Klärung und darum, sich eben nicht schuldig zu fühlen.
Fühlen Sie sich schuldig?
Andreas Schlechtweg: Wir haben nicht das Gefühl, ein Gesetz übertreten zu haben - und wenn es eine Schuld ist, dann ist sie, denke ich, entschuldbar aufgrund der sorgfältigen Gewissens- und Fallprüfung. Die Schuld gegenüber denen, denen wir das Kirchenasyl verweigern mussten, die empfinde ich als schlimmer.
Mit welcher Erwartungshaltung gehen Sie in die Gerichtsverhandlung?
Susanne Wittmann-Schlechtweg: Ich erwarte oder hoffe, dass der Richter genau hinhört und die Fälle genau betrachtet und versteht, warum wir keine andere Möglichkeit hatten in diesen drei Fällen. Es gehört zum Glauben der Verantwortlichen hier in der Kirchengemeinde, Menschen in Not beizustehen. Das ist meine Hoffnung. Oder meine Erwartung.
Aus den ganzen Erfahrungen heraus - würden Sie noch einmal Kirchenasyl gewähren?
Andreas Schlechtweg: Wir handeln aus einer Glaubenseinstellung heraus und aus der Erkenntnis, dass das Tun aus Barmherzigkeit ein essenzieller, wesentlicher Bestandteil unseres Glaubens ist. Glaube gibt es nicht ohne Wiederholung.