Die angespannte Lage an der ukrainisch-russischen Grenze geht an den Menschen auch auf ukrainischer Seite nicht spurlos vorüber. "Viele Menschen machen sich Sorgen", sagt der württembergische Pfarrer Matthias Lasi, der als deutscher Pfarrer die lutherische Gemeinde St. Katharina in Kiew betreut: "Die Situation ist für viele sehr belastend, viele haben bereits einen Notfallkoffer mit den wichtigsten Dokumenten gepackt." Die Gemeindeglieder würden die Nachrichten verfolgen, aber momentan auch nicht mehr wissen als die Menschen in Deutschland.

Tägliches Leben in der Ukraine geht trotz schwieriger Situation weiter

Lasi berichtet von "Familien, die nun vom Regen in die Traufe kommen". Manche hätten Verwandte in Kasachstan, das Anfang Januar von bürgerkriegsähnlichen Zuständen erschüttert wurde. Russland schickte Truppen, und der autoritäre Präsident Kassym-Schomart Tokajew ließ auf Demonstranten schießen. Laut Behördenangaben wurden bei den Protesten insgesamt 225 Menschen getötet, mehr als 4.400 wurden festgenommen. Viele Familien hätten zudem Verwandte in Russland.

"Trotzdem geht das tägliche Leben wie gewohnt weiter, die Ukrainer behalten erstaunlicherweise große Ruhe", sagte Lasi. Die evangelische Kirche St. Katharina liegt im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wenige Gehminuten vom Unabhängigkeitsplatz entfernt, der seit der Maidan-Revolution 2013/2014 auch in Deutschland bekannt ist. Matthias Lasi, seit dem Jahr 2018 von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) entsandter Auslandspfarrer, betreut hier eine lutherische Gemeinde mit etwa 300 Mitgliedern.

St. Katharina ist als Hauptstadtgemeinde sehr wichtig

St. Katharina hat als Hauptstadtgemeinde eine exponierte Stellung. Die Gemeinde blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Sie begann im Jahr 1767, als deutsche Einwanderer die lutherische Gemeinde in Kiew gründeten. Es entwickelte sich ein blühendes Gemeindeleben, das in der Zeit stalinistischer und sowjetischer Verfolgung der deutschen Bevölkerung schließlich ganz zum Erliegen kam. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1992 erwachte die Gemeinde St. Katharina zu neuem Leben.

Mit Hilfe deutscher Diplomaten gelang es, die beschlagnahmte Kirche wieder in den Besitz der Gemeinde zu überführen. Die bayerische Landeskirche hat durch finanzielles und personelles Engagement die Sanierung der Kirche ermöglicht. Die klassizistische Kirche St. Katharina liegt an der "Ljuteránska" (zu Deutsch: Lutherstraße), ein paar Hundert Meter vom Präsidentenpalast entfernt. Eingeweiht wurde sie 1857, als es im zaristischen Russland noch viele Lutheraner gab. Die meisten Gemeindemitglieder sind Ukrainer mit deutschen Wurzeln.