Menschen mit wenig Geld können sich oft keine Fahrkarte für Bus oder Bahn leisten. Werden sie wiederholt beim Schwarzfahren erwischt, droht ihnen Knast. Denn auch für eine Geldstrafe fehlen meistens die Mittel. Der Berliner Politologe Arne Semsrott will ihnen helfen. Anfang Dezember hat er die Initiative "Freiheitsfonds" gegründet, die seither 141 Schwarzfahrer freigekauft hat - auch aus bayerischen Gefängnissen, etwa aus München, Augsburg, Aichach und Würzburg.

Semsrotts Gründe für die Gründung der Initiative

Niemand soll den Knast von innen sehen müssen, nur weil er wiederholt schwarzgefahren ist, findet Arne Semsrott: "Das ist entwürdigend und diskriminierend." Und es verursacht Leid. Der Gründer von "Frag den Staat", einem Portal für Informationsfreiheit, erzählt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund nicht gezahlter Geldstrafe dazu führte, dass Kinder aus der Familie genommen wurden. Auch kennt er Partnerinnen von Schwarzfahrern, die verzweifelt sind, weil die Polizei deshalb zu Hause vorfuhr.

Ein Autofahrer landet für nicht bezahlte Falschparker-Knöllchen nicht im Gefängnis. Denn Parken ohne Parkschein ist nur ein Bußgeldtatbestand. Das zeigt für Semsrott, wie ungerecht das System ist. Denn Autofahrer seien finanziell eher stärker, Schwarzfahrer hingegen oft die Ärmsten der Armen. 152.000 Euro hat seine Initiative bisher in "Freikäufe" investiert: "Damit haben wir 11.000 Hafttage vermieden und dem Staat rund 1,5 Millionen Euro gespart." Im Schnitt kostet ein Hafttag nämlich 150 Euro.

Langfristiges Ziel sei Entkriminalisierung von Schwarzfahrern

Semsrott will Schwarzfahrern aber nicht nur aus ihren Schwierigkeiten heraushelfen: "Im Idealfall können wir uns als Initiative bald abschaffen, weil das Schwarzfahren entkriminalisiert wurde." Eben darauf wirkt der "Freiheitsfonds" jenseits der Freikäufe durch seine Öffentlichkeitsarbeit hin. Inzwischen gibt es Semsrott zufolge viele Mut machende Vorstöße in ganz Deutschland, etwa in Thüringen oder Berlin: "Nur Bayern scheint nichts von einer Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket zu halten."

Einen Knastaufenthalt vermeidet, wer in der Lage ist, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Doch dazu seien viele notorische Schwarzfahrer beispielsweise wegen psychischer Probleme nicht imstande. Jedenfalls gibt es Belege dafür, dass die Betreffenden häufig nicht nur langzeitarbeitslos und arm, sondern auch durch seelische Leiden beeinträchtigt sind. Wünschenswert wären laut Semsrott verlässliche Daten. Doch die gebe es nicht, sondern lediglich punktuellen Analysen, erläutert er.

Mobilität ist für Arne Semsrott ein Grundrecht. Mehr noch: Viele Menschen haben überhaupt keine Wahl, sie müssen in den Bus, die U-Bahn oder Tram steigen, um zu bestimmten Orten zu gelangen. "Es gibt Personen, die - weil sie straffällig geworden sind - zur Auflage bekamen, regelmäßig eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen", schildert er. Oft bleibt den Betroffenen für den Weg dorthin nur der Bus. Wodurch sie sich oft neuerlich strafbar machen: "So dreht sich die Spirale immer höher."

Reaktionen des bayerischen Justizministeriums

Im bayerischen Justizministerium lehnt man die Entkriminalisierung der "Beförderungserschleichung" ab. Die Strafbarkeit sei nicht nur nötig, um das Vermögen der Verkehrsbetriebe, sondern auch um "die Mehrheit der ehrlichen Kunden" zu schützen, sagt Ministeriumssprecher Michael Bieber. Die Einbußen durch Schwarzfahrer würden in den Fahrpreis einkalkuliert. Je mehr Menschen ohne zu zahlen in den Bus oder die Tram steigen, desto teurer würden die Fahrscheine für jene, die brav ihr Ticket lösen.

Im Übrigen sei in Bayern viel getan worden, um Aufenthalte in der JVA zu vermeiden, betont Bieber. Mit "Schwitzen statt Sitzen" räume man Verurteilten seit mehr als 30 Jahren die Möglichkeit ein, das Einfahren in den Knast mit gemeinnütziger Arbeit abzuwenden. Seit 2019 gebe es zudem das Projekt "Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen". Dabei lassen sich externe Träger den Anspruch etwa auf Hartz IV zum Teil abtreten und übernehmen das Abstottern der Geldstrafe.

Die Betreffenden könnten oft keiner Arbeit nachgehen. Das bestätigt auch das Justizministerium. Daher sei mitunter keine Vermittlung in gemeinnützige Arbeit möglich. Durch "Geldverwaltung statt Vollstreckung" sowie "Schwitzen statt Sitzen" konnten allein 2020 knapp 41.000 Hafttage vermieden werden: "Auch über die beiden genannten Projekt hinaus prüfen die Vollstreckungsbehörden jeweils im Einzelfall, wie Ersatzfreiheitstrafen möglichst nicht angeordnet oder vollstreckt werden müssen."

An Einfühlsamkeit mangelt es aus Sicht des bayerischen Justizministeriums jedenfalls nicht. Nach der Strafvollzugsstatistik säßen auch nur vergleichsweise wenige Menschen wegen des Tatbestands "Erschleichen von Leistungen" hinter Gittern, wobei nicht nur Schwarzfahren dazuzählt. Zum Stichtag 31. März 2021 waren 61 Personen deshalb in Haft: "Dies entspricht einem Anteil von 0,9 Prozent." 2019 waren 103 Männer und Frauen betroffen.