Es sind die anderen Liebesgeschichten, von denen die Betreuer der Evangelischen Straffälligenhilfe oft hören. Nicht die mit Happy End, sondern solche, die von Enttäuschung, Ausbeutung, Verletzung handeln. Die, die sie erzählen, sitzen – aus unterschiedlichen Gründen – im Gefängnis. Aber sie haben oft etwas gemeinsam: Niemand besucht sie.

"Bei vielen Inhaftierten ist in den Beziehungen etwas schiefgelaufen", erzählt Gerhard Gruber, Leiter der Straffälligenhilfe des Evangelischen Hilfswerks München. Nicht erst in den Beziehungen zum Partner oder zur Partnerin, sondern oft schon in der Beziehung zu den Eltern. Sitzen diese Menschen dann hinter Gittern, haben sie oft keinerlei Kontakt nach draußen und bekommen deshalb seltener Hafterleichterungen wie Ausgang oder Hafturlaub.

Hier setzt seit 25 Jahren die Evangelische Straffälligenhilfe mit ihren ehrenamtlichen Betreuern an. Im vergangenen Jahr haben 34 Ehrenamtliche – rund die Hälfte von ihnen Frauen – knapp 80 Häftlinge in elf oberbayerischen Justizvollzugsanstalten betreut. Bis vor Kurzem waren das nur männliche Häftlinge, seit vergangenem Jahr sind auch vereinzelt Frauen darunter.

"Kümmer dich doch lieber um die Opfer!", sagten Bekannte zu Gerhard Gruber, der seit 2004 bei der Straffälligenhilfe mitarbeitet und seit 2010 ihr ehrenamtlicher Leiter ist. "Aber wenn sich niemand um die Täter kümmert und sie wieder rückfällig werden, ist das ja auch nicht gut", erwidert dann der 55-Jährige.

Vom Schwarzfahrer bis zum Mörder

Die Betreuer der Straffälligenhilfe bieten den Gefangenen an, ihnen Briefe zu schreiben, sie zu besuchen und sie bei Ausgängen zu begleiten, die ohne Kontakte nach draußen kaum möglich sind. "Manche Gefangene sind misstrauisch am Anfang, die brauchen lange, um Vertrauen aufzubauen. Aber die meisten sind sehr froh, dass da jemand ist, der ihnen zuhört", sagt Gruber. Die Haftzeit beträgt zwischen wenigen Monaten und bis zu 30 Jahren, die Betreuung dauert im Durchschnitt ein bis zwei Jahre, meist gegen Ende der Haft. Vom Mehrfach-Schwarzfahrer bis zum Mörder sei alles dabei, erzählt Gruber.

Den Betreuern werden zu Beginn ihres Engagements in einem eintägigen Grundkurs alle rechtlichen Regeln vermittelt, danach müssen sie nach einer Sicherheitsüberprüfung noch beim jeweiligen Gefängnis zugelassen werden. Die meisten fahren dann ein- bis zweimal im Monat ins Gefängnis. Zuverlässigkeit ist wichtig, um Enttäuschungen zu verhindern. "Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der gar nicht glauben wollte, dass ich extra wegen ihm ins Gefängnis gekommen bin. So etwas hatte noch nie jemand für ihn getan."

Peter Möller, langjähriger Leiter der Straffälligenhilfe, sieht den Betreuer als Begleiter – die Motivation zu Veränderungen muss jedoch vom Häftling selbst ausgehen. "Wir reichen ihnen die Hand, gehen müssen sie selbst." Nicht jeder sei als Betreuer geeignet, sagt der 73-Jährige. Es sei wichtig, sich abzugrenzen, dem Häftling nicht alles zu glauben, ihn nicht ins eigene Privatleben zu lassen.

Menschen ohne Perspektive

Nach der Entlassung aus der Haft kann der Betreuer bei der Wiedereingliederung helfen. Über das Evangelische Hilfswerk gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, ein Zimmer im Münchner Bodelschwingh-Haus zu beziehen. Etwa 40 Männer können hier unter sozialpädagogischer Betreuung wieder erste Schritte in die Freiheit machen.

Immer häufiger werden jedoch die Fälle, in denen der Betreuer gar keine Wiedereingliederungshilfe leisten kann – weil der Straffällige direkt nach der Haft aus Deutschland abgeschoben wird. Mit der Zahl der Migranten in Deutschland steigt auch ihre Zahl in den Gefängnissen. "Das macht die Arbeit schwierig für uns, weil wir diesen Menschen keine Perspektiven für die Zeit nach der Entlassung bieten können", sagt Gruber. Aber gerade sie haben oft keine Familie in Deutschland und sind deshalb froh, wenn es noch jemanden außerhalb der Gefängnismauern gibt, der sie zumindest besucht und unterstützt. Gebraucht werden die ehrenamtlichen Betreuer also heute genauso wie vor 25 Jahren.

Nach der wichtigsten Voraussetzung gefragt, die ein Betreuer für dieses Ehrenamt mitbringen muss, antwortet Gerhard Gruber ganz spontan: "Man muss einfach Mensch sein."