Das berühmte "Denk fix", "Die fliegenden Hüte" oder der Bestseller Tischtennis gehörten zu den Klassikern von Spear. Im Sortiment waren aber auch Mühle, Dame, Halma und Quartetts. Und auf der ganzen Welt kennt man Scrabble. Zeitweise arbeiteten bei Spear in Nürnberg mehr als 600 Beschäftigte, sagt der frühere Leiter des Nürnberger Spielzeugmuseums, Helmut Schwarz. Er hat das Buch "Die Spielmacher" über das Unternehmen geschrieben.
"Import- und Exportgeschäft für Kurzwaren"
Der Firmengründer Jacob Wolf Spier (1832-1893) stammte aus einer armen Familie hessischer Landjuden. Als Zwanzigjähriger wanderte er in die USA aus. Zehn Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück und behielt seinen anglisierten Namen "Spear". 1869 trat er als Gesellschafter in eine Sonneberger Spielwarenfirma ein. 1878 gründete er in London ein Importgeschäft für Kurzwaren, dessen Führung er seinen damals ältesten Söhnen überließ.
Im Jahr darauf siedelte J. W. Spear mit seiner Frau und den sieben jüngeren Kindern nach Fürth um, wo er ein eigenes "Import- und Exportgeschäft für Kurzwaren" anmeldete. Der Firmengründer starb nach zuletzt schwierigen Jahren in Fürth im Jahr 1893. Spears Söhne bauten nach dem Tod des Vaters eine neue Fabrik in Nürnberg. Sie lag zwar weit vor den Toren der Stadt, aber unweit der Bahnlinie der Ludwigsbahn.
Spear habe weltweit eine solche Bedeutung gehabt, wie sie heute Ravensburger auf dem deutschen Markt hat, erklärt Schwarz. Das war allerdings vor der sogenannten Arisierung, mit der die Nationalsozialisten Juden aus dem öffentlichen Leben verdrängten. Ab den Jahren 1934/1935 konnten die jüdischen Brüder Richard und Hermann Spear nicht mehr profitabel arbeiten.
Antisemitismus nimmt zu
"Die Schraube wird immer enger", hat der ehemalige Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Christian Täubrich, einmal das beschrieben, was in den Jahren 1933 bis 1945 die Ausschaltung des jüdischen Lebens in Wirtschaft und Gesellschaft bedeutete. Die Nationalsozialisten verfolgten dieses Ziel in Franken noch konsequenter als in vielen anderen Gebieten des deutschen Reiches.
Antisemitismus und Kaufboykotte setzten den Unternehmen zu. Es begann mit antisemitischer Hetze, mit Repressalien der Finanzämter und ging weiter bis zu Erpressung und Mord. Richard Spear und seine Familie flüchteten nach England, wo die Firma bereits seit 1932 eine Produktionsstätte unterhielt. Sein Bruder Hermann blieb in Nürnberg. Weil er mit einer Nichtjüdin aus einer angesehen Fürther Kaufmannsfamilie verheiratet war, "fühlte er sich einigermaßen sicher", wie Schwarz erklärt, "aber das hat ihn nicht verschont".
Nach einer Haft 1938 in Dachau verkaufte er gezwungenermaßen an den Nürnberger Unternehmer Hanns Porst, den Besitzer des gleichnamigen Fotounternehmens. Mit dem Label "Euer Onkel Hanns" versehen, verlegte Porst die Spieleklassiker weiter, aber er nutzte sie auch für Propagandazwecke. Das Brettspiel "Im Fluge über Deutschland" wurde zu "Im Fluge über Groß-Deutschland" und die heute noch gespielten "Fliegenden Hüte" wurden zu "Bomben auf England".
Keine Zahlungen an die Spears
Hermann Spear wurde mehrfach inhaftiert. Im Juli 1943 wurde er im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Insgesamt elf Mitglieder der weitverzweigten Spear-Familie fielen dem Nazi-Terror zum Opfer.
"Niemals floss nur ein Pfennig an die Familie Spear", sagt Experte Schwarz. "Das ist alles in Staats- und Parteikassen gegangen." Kriminelle Nazi-Größen steckten sich die geraubten jüdischen Güter in die eigenen Taschen. Mindestens 35 Millionen Reichsmark sollen damals in Franken aus den "Arisierungen" unterschlagen worden sein. Nach Kriegsende erhielt die Familie Spear 1948 aber im Rahmen der "Wiedergutmachung" ihre stark zerstörte Fabrikationsstätte zurück.
Wiederaufnahme der Produktion
Von 1950 bis 1984 produzierte Spear wieder in Nürnberg. Dann schloss die Fabrik. Die englische Muttergesellschaft expandierte weiter unter dem Urenkel des Unternehmensgründers, Produktionsdirektor Francis Spear (1921-2020). 115 Jahre nachdem ihr Urgroßvater zunächst in Fürth begonnen hatte, Spiele zu vertreiben, setzten sich 1994 die Spears der vierten Generation zur Ruhe, verkauften ihren Konzern an Mattel. Von dem breiten Spear-Sortiment sind nur noch wenige Spiele übriggeblieben, allen voran natürlich "Scrabble", das 1948 der Architekt Alfred M. Butts erfunden hatte.
Das Firmengedächtnis, das "Private Spear's Games Archive" mit seinen Bildern, Dokumenten und Prototypen, kam im Jahr 2018 nach Nürnberg. Das ist vor allem Helmut Schwarz zu verdanken, der vor mehr als 20 Jahren Francis Spear auf der Spielwarenmesse in Nürnberg traf. Mit leichten Bauchschmerzen angesichts der Geschichte stand er ihm gegenüber: "Ich war unheimlich erleichtert, dass er es mir mit seinem offenen, freundlichen Wesen so leicht gemacht hat, mit ihm zu sprechen. Er hegte keinen Groll gegen uns Deutsche, im Gegenteil, er freute sich, dass es in seiner früheren Heimat Leute gab, die sich für die Geschichte seiner Firma und Familie interessierten."