Dorthin zu kommen, wohin man will oder muss, ist oft nicht einfach. Vor allem nicht, wenn man kein Auto hat und der öffentliche Nahverkehr mau ist.

Für Schwerstbehinderte ist die Sache noch schwieriger. Denn sie sind auf teure Fahrten mit Spezialfahrzeugen angewiesen. In Unterfranken sitzen Menschen mit gravierendem Handicap seit Jahresbeginn immer öfter zu Hause, weil ein neues Mobilitätsbudget deutlich weniger Fahrten als bisher möglich macht.

Neue Mobilitätsrichtlinie bedeutet große Einschränkung

Gottfried Schneider aus dem Kreis Würzburg ist seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlicher Betreuer. Vier Menschen mit Behinderung betreut der Ruheständler derzeit, unter anderem Lisa (Name geändert).

Die Rollstuhlfahrerin lebt in einer Wohnanlage. Vor Corona nahm sie wöchentlich an einem Malkurs und an einem Gottesdienst teil. Bisher konnte sie 600 Kilometer jährlich verfahren. Damit kam sie aus. Nun erhält sie 125 Euro im Monat. Das reicht nicht einmal für zwei Hin- und Rückfahrten.

Schneider: Budget-Kürzung ist diskriminierend

Schneider findet die Kürzung diskriminierend. Auf seinen Widerspruch sei er darauf verwiesen worden, dass nicht alles, was für behinderte Menschen wünschenswert wäre, auch finanziert werden könne, zitiert er aus dem Schreiben des Bezirks.

Menschen mit einer Behinderung sollten gleich, jedoch "nicht bessergestellt" werden. Das empört den Heilerziehungspfleger. "Nichtbehinderte können jederzeit ihre vier Wände verlassen", sagt er. Seine Klienten kämen ohne fremde Hilfe nicht aus dem Haus.

Transportkosten im Spezialfahrzeug sind teuer

Die Umstrukturierung des Budgets bedeutet für Lisa, dass sie nur noch einen Termin im Monat wahrnehmen kann. Obwohl sie nur rund fünf Kilometer transportiert werden muss, fallen pro Hin- und Rückfahrt im Spezialfahrzeug 70 Euro an.

Für einen Malkurs und Gottesdienst pro Monat bräuchte sie 140 Euro. Selbst dann jedoch wäre keine einzige Fahrt zu einem Besuch oder Treffen drin. Warum die Fahrten erforderlich seien wurde Schneider gefragt: "Ich weigerte mich, den Bogen auszufüllen."

Schwerbehinderte Menschen sind dringend auf Behindertenfahrdienst angewiesen

Der Bezirk dürfe so etwas gar nicht abfragen, meint er. Und kämpft. Durch die neue Richtlinie, von der weniger schwer behinderte Menschen profitieren, weil sie aus dem Budget erstmals Freunde und Verwandte für Fahrten bezahlen dürfen, werde die Freiheit schwerbehinderter Menschen massiv beschnitten.

Denn die sind zwingend auf den Behindertenfahrdienst angewiesen. Mit normalen Autos können sie nicht transportiert werden. Für drei seiner Klienten legte Schneider Widerspruch ein.

700 Menschen sind von neuer Mobilitätsrichtlinie betroffen

Nun haben nicht alle Behinderte Betreuer, die sich so für ihre Klienten einsetzen. Möglicherweise ist darauf der geringe Protest auf die Neuregelung zurückzuführen.

700 Menschen mit Behinderung erhalten laut Eva-Maria Löffler, Leiterin der Sozialverwaltung beim Bezirk Unterfranken, Leistungen nach der neuen Mobilitätsrichtlinie. Viele würden bessergestellt, bisher seien neun Widersprüche und zwei Beschwerden eingegangen. In diesen Fällen versuche man, unbürokratische Lösungen zu finden.

Arbeiter-Samariter-Bundes kritisiert Richtlinie ebenfalls

Behinderte Menschen, die nicht mit dem Bus fahren oder ins Auto steigen können, nutzen in Würzburg meist den Behindertenfahrdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Dort stößt die neue Richtlinie ebenfalls auf Kritik.

Auch, weil das neue Verfahren nicht barrierefrei ist, sagt Fahrdienstleiter Peter Rellig. Von der Antragstellung über die Dokumentation bis hin zu den Fahrt-Nachweisen könne man Fehler machen. Bisher habe es eine für ein Jahr gültige Kilometer-Guthabenkarte gegeben.

Bayerische Bezirke handhaben das Thema individuell

Die bayerischen Bezirke handeln bei dem Thema mitnichten alle gleich. Rellig erkundigte sich und stellte fest: "Besonders großzügig ist der Bezirk Mittelfranken, bei dem man pro Jahr zwischen 120 Einzelfahrten oder 2.400 Kilometer wählen kann."

Zusätzlich bekäme man auf Antrag weitere Fahrten zur Teilnahme an bis zu drei Bildungskursen bewilligt. "Hier gibt es zwar kein persönliches Budget, aber die vom Fahrtvolumen her beste Regelung für Nutzer von Fahrdiensten", sagt er.

Will ein Mensch mit Handicap in einem Chor singen, am wöchentlichen Stammtisch teilnehmen oder Sport treiben, scheint dies auch in Oberbayern problemlos zu gehen.

Oberbayern habe die Situation der Menschen, die auf Mobilitätshilfe angewiesen sind, "besser geregelt als Unterfranken", sagt Frauke Schwaiblmair, Behindertenbeauftragte des Bezirks Oberbayern. Auch dem Behindertenbeauftragten der Staatsregierung, Holger Kiesel, ist nicht bekannt, dass es Probleme mit dem Fahrdienst gibt.

Corona-Pandemie bereitet vielen Fahrdiensten Probleme

Dass pandemiebedingt deutlich weniger Fahrten gemacht werden, setzt vielen Fahrdiensten zu. "Wir haben nur noch ein Drittel der Fahrten, die wir normalerweise unternehmen", sagt Weisser.

Statt zehn pro Tag seien es im Schnitt nur noch drei. Alle Fahrzeuge seien dennoch im Einsatz, um zeitgleiche Fahrten abzudecken. Der Münchner Fahrdienst verkraftet keine weitere längere Durststrecke. Sollte sich die Pandemie bis Herbst hinziehen, müssten womöglich Mitarbeiter entlassen werden.

Seit Beginn der Corona-Krise, ergänzt Rellig, habe es keinerlei staatliche Hilfen für den Ausfall in diesem speziellen Bereich der Eingliederungshilfe gegeben. Grundsätzlich sei es sehr aufwendig, einen Fahrdienst für behinderte Menschen zu unterhalten.

Es sei ja nicht allein mit der Fahrt getan. Menschen mit Behinderung bräuchten Unterstützung beim Ein- und Aussteigen. Das binde Zeit. Deshalb kosten selbst kurze Fahrten im Nahbereich einfach 35 Euro.