Zwei Punkte sind Wolfgang Bomblies wichtig, bevor der Rundgang startet: Krankenhäuser können unangenehme Gefühle wecken – und es kann passieren, dass man auf dem Flur Patienten halb nackt im Krankenhemd trifft. "Die normale Reaktion, um die Situation zu überspielen, ist in eurem Alter lachen", sagt der Krankenhausseelsorger: "Bitte macht das heute nicht."
Dass die Ermahnung zur Ernsthaftigkeit vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre, zeigt sich beim Gesprächsstopp in der Pater-Rupert-Mayer-Kapelle. Hier fragt Bomblies nach den ersten Eindrücken. Dass es nach Desinfektionsmittel riecht und überall Seifenspender hängen, ist den Zehntklässlern aufgefallen. Bei Samuel (Schülernamen geändert) kamen Erinnerungen an den Krankenhausaufenthalt seines Vaters hoch. "Er hatte nach einem Skiunfall eine Gehirnblutung und musste operiert werden", sagt der Schüler. "Wie ist es dir gegangen, als du die Diagnose gehört hast?", fragt der Seelsorger. Samuel zuckt kurz die Achseln: "Ich hatte nie schlimme Sorgen. Ich vertraue auf das Können der Ärzte."
Warum Gott Leiden zulässt
Auch Nele meldet sich zu Wort. Ein Freund der Familie liege mit Krebs im Sterben. "Es ist für mich gerade schwer, in ein Krankenhaus zu gehen", sagt die Schülerin. Wer den Jungs zuhört, bekommt den Eindruck, als würden sie Hiobsbotschaften lässig wegstecken, zumindest äußerlich.
Beim Marsch durch die verwinkelten Katakomben des Klinikums erklärt Pfarrer Christian Stalter, der die Schüler in evangelischer Religion unterrichtet, die Idee des Besuchs. "In der zehnten Klasse geht es um die Frage, warum Gott Leiden zulässt, in der Kollegstufe kommen die Schwerpunkte Ethik und Anthropologie – ein Besuch im Krankenhaus passt gut zu diesen Themen."
1290 Mitarbeiter, davon 318 Ärzte und 786 Pflegekräfte, kümmern sich in Harlaching um rund 730 Patienten. Einige von ihnen bleiben nur ein paar Stunden, andere liegen monatelang in der Klinik. Weil die Zeit im Wirtschaftsbetrieb "Krankenhaus" knapp ist, misst auch die Klinikleitung ihren Seelsorgern einen hohen Stellenwert bei der Betreuung der Patienten bei. Auch alle neuen Mitarbeiter werden von den Pfarrern persönlich begrüßt und mit dem kirchlichen Angebot vertraut gemacht. "Wir sind diejenigen, die im Klinikalltag ein bisschen mehr Zeit haben", sagt Wolfgang Bomblies, Sprecher der Münchner Krankenhausseelsorger.
"Engel scheinen für alle Religionen ein gutes Symbol zu sein"
Am Ende schier endloser Gänge mit Klinikküche, Technikräumen und Bettenwaschanlage führt Bomblies die Schülergruppe schließlich wieder ans Tageslicht zur Palliativstation mit zehn Betten für Menschen am Lebensende. Alles ist hell und freundlich, Musikinstrumente lehnen im Aufenthaltsraum, die Atmosphäre entspannt – "fast wie ein Zuhause", sagt Jonas überrascht. Dennoch dämpfen die Schülerinnen und Schüler unwillkürlich ihren Schritt. An der Säule mit "Pflück-Gedichten" lesen sie Gedanken der Patienten; in den Abschiedsbüchern im Raum der Stille die Lebensdaten von Verstorbenen und Abschiedsworte von Angehörigen. Manchen steigen Tränen in die Augen. Bomblies verweist auf den Engel, der statt anderer religiöser Symbole auf einer Kommode steht: "Er scheint für alle Religionen ein gutes Symbol zu sein." Die Atmosphäre im Raum der Stille sei bedrückend und ehrfurchtsvoll zugleich gewesen, findet Jonas. "Die Gedanken und Gefühle der Menschen hier zu lesen hat mich sehr berührt", ergänzt seine Freundin Elisabeth.
Die letzte Station des Rundgangs ist die evangelische Kapelle im Haupthaus. Auch hier werden die Jugendlichen noch einmal in den Gebetsbüchern mit den Gefühlen fremder Menschen konfrontiert. "Eine Mutter bat um Gottes Beistand, weil ihr Sohn heute sterben wird; eine andere Mutter bat um schnelle Heilung nach der OP, weil sie zu Hause gebraucht werde – es war ergreifend, diese Geschichten vor Augen geführt zu bekommen", sagt Pfarrer Stalter.
Berührungsängste abbauen
Den Heimweg am Isarhochufer entlang nutzten die Jugendlichen, um das Erlebte zu besprechen. Viele organisatorische Fragen seien dabei gewesen, sagt Pfarrer Stalter, aber keine nach dem Sinn von Krankenhausseelsorge: "Es war allen klar, dass es im Krankenhaus jemanden braucht, mit dem man reden kann."
Insofern sei die ungewöhnliche Exkursion nicht nur eine Vertiefung von Unterrichtsinhalt gewesen. "Es war gut, dass die Jugendlichen am Ort erleben konnten, wie man mit Trauer und Freude umgehen und wie man darüber reden kann", so Stalters Fazit. Wolfgang Bomblies’ Ziel wäre damit erfüllt. Ihm fällt auf, wie viele Erwachsene sich mit Besuchen bei kranken Angehörigen schwertun. "Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen merken: Das kann man schaffen!"