Im Religionsunterricht geht es nicht nur um fachliche Kompetenzen. Auch emotionale Intelligenz und soziales Verhalten der Schüler werden dort gefördert. Wie schätzen Sie den Stellenwert von Religionsunterricht in diesem Zusammenhang ein?

Hanna Bogdahn: Der Religionsunterricht hat eine sehr, sehr wichtige Position. Natürlich findet auch im Klassenunterricht Erziehung statt, es wird vielleicht ein Streit geschlichtet, und die Lehrerin bemüht sich um eine wertschätzende Atmosphäre. Aber im Religionsunterricht stehen solche Fragen im Mittelpunkt. Er ist aus dem Grundschulalltag überhaupt nicht wegzudenken und rundet die anderen Fächer auf sehr gute Weise ab.

Ich habe – das muss ich einschränkend dazu sagen – aber auch erlebt, dass der Stellenwert des Religionsunterrichts von der Schulleitung abhängig ist. Ich hatte zweimal Schulleitungen, die das sehr unterstützt haben. Dort gab es ökumenische Schulgottesdienste und die Stundenplangestaltung wurde angepasst. Aber es gibt auch Schulleitungen, denen dieses Thema offenbar nicht wichtig ist. Da wird dann der – evangelische - Unterricht unter den Tisch gekehrt.

Aber eigentlich ist der Unterricht durch den Lehrplan doch fest verankert?

Bogdahn: Ja. Aber sobald man in die Diaspora kommt, wird es natürlich schwieriger, den Religionsunterricht einzurichten. In München – und auch an meiner Schule – sind die christlichen Kinder oft in der Minderheit. Die evangelischen ganz besonders. Dann kommt es zu Schwierigkeiten bei der Stundenplangestaltung. Aber die Kinder und die Eltern haben ein Recht auf Religionsunterricht. Und von Seiten der Schulaufsicht – sowohl von der kirchlichen, als auch von der staatlichen – wird da auch großer Wert drauf gelegt.

 

Warum das Singen im Religionsunterricht für Grundschüler besonders wichtig ist und wie man Kindern Gott erklärt - das und noch mehr erklärt Lehrerin und Schulbuchautorin Hanna Bogdahn im Video.

Was macht den Religionsunterricht im Speziellen aus?

Bogdahn: Der erzieherische Aspekt spielt in jedem Unterricht eine große Rolle. Aber in Religion und in Ethik ist Zeit um sich Gedanken zu machen über Gott und die Welt. Die Kinder haben Gelegenheit, in Kontakt zu kommen, sich auszutauschen; es wird gesungen und gestaltet. Erzählen und Vorlesen ist ein wichtiger, und für Religion auch typischer Bestandteil. Das Beten, oft eingebettet in ein Anfangs- oder Schlussritual, hilft den Kindern ihre Spiritualität zu entwickeln. Wie bei den musischen Fächern tritt die Leistungsmessung in den Hintergrund, das finde ich sehr angenehm; und die Kinder auch. Es passt zur Grundhaltung: Du bist wertvoll, so wie du bist!

Interessieren sich Grundschüler für Gott? Beschäftigen sie sich mit Sinnsuche?

Bogdahn: Zuallererst leben die Schüler noch sehr in den Tag hinein. Ich weiß aber von meinen eigenen Kindern, dass die Fragen meistens nachts kommen, wenn es dunkel wird. Die Schüler der ersten und zweiten Klasse sind noch sehr Ich-bezogen und in ihrem konkreten Leben gefangen. Aber bei den Schülern aus der dritten und vierten Klasse weiß man – auch aus der Psychologie –, dass sie einen großen Entwicklungsschritt vollziehen und anfangen, sich Gedanken über solche Dinge zu machen, dass sie Transfer schaffen und abstraktes Denken entwickeln. Das religiöse Bewusstsein wird dann sehr deutlich – man muss es aber nicht unbedingt religiös nennen. Die Kernfragen werden wichtig. "Tod" und "Schuld" sind Themen, die jedes Kind kennt und beantwortet haben möchte. Das macht den Menschen zum Menschen und das Kind zum Kind, dass man solche Fragen stellt und wissen will, worum es im Leben geht.

Die Religion ist im Bereich des Fühlens angesiedelt, mit allen Vor- und Nachteilen.

Lehrerin Hanna Bogdahn

Sind die Kinder schnell enttäuscht, wenn es keine eindeutigen Antworten auf ihre Fragen gibt?

Bogdahn: Das ist genau das, was sie aushalten müssen. Ich habe meinen Kindern nie vermittelt, dass sie in den Himmel kommen und dass das ganz klar ist. Ich sage ihnen, das Leben hat zwei Bereiche: Einerseits das Wissen, Beweise, das Denken - der Kopf. Andererseits das Fühlen – das Herz.

Ein Beispiel ist: der Hund. Ob das ein vom Wolf abstammendes Tier mit soundsoviel scharfen Zähnen ist, oder "mein" Hund, den ich liebe, mit dem ich spiele, der zu mir gehört – das ist doch ein riesen Unterschied. Die Religion ist im Bereich des Fühlens angesiedelt, mit allen Vor- und Nachteilen: Man kann sie nicht beweisen, aber ich fühle, dass ich sie brauche. Das Leben wäre so arm, wenn es nur aus Wissen und dem, was man beweisen kann, bestehen würde.

Anderes Beispiel:  Ich sage ihnen: Du bestehst aus Körperteilen, aus Armen und Füßen und du kannst damit springen und laufen. Aber was du denkst und fühlst, das kannst du gar nicht sehen, festhalten oder beschreiben. Aber es ist da und macht dich zu einer unverwechselbaren Person. Das Gleiche trifft auf Gott zu. Auch Gott ist unsichtbar und du kannst ihn nicht beschreiben. Aber du kannst ihn spüren.

Diese beiden Ebenen können und sollten früh mit den Kindern besprochen werden. Dann können Sie als Lehrer in der vierten Klasse auch den Tod erklären und sagen: Ich glaube an den Himmel und dass meine Seele im Himmel nach meinem Tod weiterlebt. Das kann ich den Kindern gut vermitteln, weil ich es selber glaube und weil es für mich so offensichtlich und so tröstlich ist.

Stecken Sie Ihre Kinder damit an? Müssen Religionslehrer inspirierende Persönlichkeiten sein?

Bogdahn: Auf jeden Fall. Das ist genau das, was Religionslehrer oder auch Pfarrer antreibt, denke ich. Man spürt selbst etwas, das man weitergeben möchte. Und die Kinder sind oft dankbar dafür; auch immer wieder nicht getaufte Kinder, die den Religionsunterricht besuchen. Sie suchen nach Orientierung und schätzen es, wenn jemand mit einer Überzeugung vor ihnen steht. Was natürlich nicht heißt, dass sie gehorsam alles übernehmen. Das ist das Schöne: Im Laufe von vier Jahren Religionsunterricht entwickeln sie ihre Meinung, ihre Persönlichkeit, ihren eigenen Glauben immer mehr. Es ist wunderbar, sie dabei zu begleiten!

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