Kippa-Träger werden auf offener Straße angegangen, Musiker werde trotz ihrer Auschwitz-Fantasien ausgezeichnet: Ihre Berufung ist eigentlich ein trauriger Anlass...

Spaenle: Die Motivation, dieses Amt zu schaffen, war in der Tat zunächst keine positive. Das Vorgehen gegen jüdische Mitbürger hat sich verändert, zum Beispiel ist das Wort "Jude" wieder zum Schimpfwort geworden. Aus der jüdischen Community kam daher verstärkt der Wunsch, dass sich der Staat mehr für das jüdische Leben und gegen Antisemitismus engagiert. Dennoch habe ich mich sehr gefreut, dass die Vertreter der jüdischen Gemeinden in Bayern meine politische Person für gut halten. Ich halte es außerdem für ein wichtiges Zeichen, dass auf Bundesebene und auch in Bayern das Amt "Beauftragter für jüdisches Leben" heißt - und erst dann "gegen Antisemitismus". Das bringt zum Ausdruck, dass jüdisches Leben ganz organisch Teil unserer Gesellschaft ist. Jüdisches Leben in Bayern gibt es seit der Römerzeit, ist also ein Ursubstrat unseres historisch-gesellschaftlich-kulturellen Seins.

Die zwei führenden Vertreter des Judentums in Deutschlands, Josef Schuster und Charlotte Knobloch, haben Sie jedenfalls bei Ihrer Ernennung in den höchsten Tönen gelobt. Welche Verbindung haben Sie zum Judentum und zu Israel?

Spaenle: Das Judentum ist Teil meiner Vita. Ich war früher Fernsehredakteur beim Bayerischen Rundfunk in der Kirchenredaktion. Damals wurde mir die Zuständigkeit für jüdische Themen übertragen. Außerdem hat die Erinnerungsarbeit und das "Nie Wieder" für mein politisches Denken immer eine ganz wichtige Rolle gespielt. Auch als Kultusminister habe ich den Auftrag, ein gutes Stück weit Geschichtsminister der bayerischen Staatsregierung zu sein, ernst genommen. Auch auf dem Feld der Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit dürfen wir nicht nachlassen.

"Es braucht eine Kultur des Hinschauens"

Das ist ja auch einer der zentralen Punkte Ihres Programms als Antisemitismusbeauftragter...

Spaenle: Ich habe für mein Programm zehn Punkte definiert. Der wichtigste ist für mich und die jüdische Community, dass der Staat sich einmischt und reagiert. Es braucht eine Kultur des Hinschauens. Wenn Juden angegangen werden, wenn sie beschimpft werden oder wenn das Wort "Jude" als Schimpfwort verwendet wird, dann müssen wir von staatlicher Seite dem entgegentreten. Dazu soll es auch ein niederschwelliges Meldesystem geben.

Gibt es zu diesem Meldesystem schon Konkretes?

Spaenle: Es soll schon bald an den Start gehen. Für Berlin gibt es eine Website, auf der Vorfälle gemeldet werden können. In Bayern hat die Umsetzung für solch ein Angebot bereits begonnen. Wir haben Gespräche mit den beteiligten Ministerien aufgenommen. Ein Treffen mit Vertretern aus allen jüdischen Gemeinden Bayerns steht unmittelbar bevor. Aber viele Ältere sind einfach nicht im Internet unterwegs. Die wollen wir natürlich nicht vergessen und müssen schauen, dass wir auch für sie erreichbar bleiben. Mir schwebt vor, dass neben strafrechtlich relevanten Vorfällen auch Niederschwelliges gemeldet wird - Beleidigungen oder Beschimpfungen, Diskriminierung im Alltag. Einfach um zu sehen, was es an Antisemitismus in Bayern gibt. Und dass sich eine Kultur des Hinschauens entwickelt - dass wir es eben nicht tolerieren, wenn jemand wegen seiner Religion beleidigt wird. Und das muss im Kleinen anfangen.

 

Ludwig Spaenle
Seit Mitte Mai ist Ludwig Spaenle der erste Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung.

Ist der Antisemitismus in Bayern ausgeprägt, haben Sie Zahlen über Vorfälle?

Spaenle: Ich kann mich jetzt nur auf Zahlen der Staatsregierung vom Mai berufen. Im vergangenen Jahr soll es rund 150 Straftaten gegen jüdische Bürger oder Einrichtungen gegeben haben - meistens waren das Volksverhetzung oder Sachbeschädigungen. Aber wir wollen ja auch Vorfälle erfassen, die keine Straftaten sind. Antisemitismus ist ja auch eine Gesinnung und nicht automatisch eine Straftat. Einen aussagefähigen Überblick über Antisemitismus kann man erst geben, wenn sich das Meldesystem etabliert hat.

Sie haben gesagt, dass Ihnen die Bildungs-, Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit ganz wichtig sind.

Spaenle: Das ist eine zentrale Säule. Diese Arbeit befindet sich auch im großen Umbruch, denn die Zeitzeugen werden weniger und wir haben an den Schulen immer mehr Kinder aus Zuwandererfamilien. Zuwanderer machen an den Münchner Schulen schon rund 50 Prozent der Schülerschaft aus. Ich erinnere mich noch ganz genau an meinen Antrittsbesuch vor zehn Jahren in der Gedenkstätte Dachau: Da konnte ich mit einer Schulklasse diskutieren, ein junger Mann hat sich gemeldet und gesagt, dass er zwar Deutscher sei, seine Familie aber aus der Türkei komme. Warum solle er sich für den Holocaust verantwortlich fühlen? Deshalb ist eine gute Erinnerungsarbeit wichtiger denn je. Sie muss auf Höhe der Zeit sein und keine formale Rückwärtsbetrachtung.

"Bildungsarbeit ist ein zentrales Tool gegen Unwissenheit"

Wie wollen Sie diese Wende in der Erinnerungsarbeit schaffen?

Spaenle: Wir müssen zeigen, was das jüdische Leben und Traditionen heute ausmacht. Und wir müssen über Israel sprechen und das, was Israel ausmacht. Deshalb möchte ich auch die Gründung eines bayerisch-israelischen Jugendwerkes anregen. Man muss natürlich mit den Schulen zusammenarbeiten, da passiert schon viel. Ich will auch mit Wissenschaftlern sprechen, die sich mit einschlägigen Themen beschäftigen, damit wir hier auf der Höhe der Zeit sind. Bildungsarbeit ist ein zentrales Tool, um der Unwissenheit zu begegnen. Es muss ein ganzheitlicher Ansatz sein, um sich gegen Antisemitismus zu stellen.

Sie haben die Zuwanderung angesprochen. Was wollen Sie dagegen tun, dass Migranten aus arabischen Ländern ihren Hass gegen Juden und Israel auch nach Deutschland bringen?

Spaenle: Die Zuwanderung mit mehr als einer Million Menschen aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens in den vergangenen Jahren hat dem Antisemitismus eine neue Färbung gegeben - es gibt gerade in den jüngsten Tagen erschreckende Beispiele etwa in Berlin. Wenn es zur Erziehung gehört, dass Eltern ihren Kindern sagen, Israel sei ein Verbrecherstaat, der von der Landkarte getilgt werden müsse, dann können wir das nicht akzeptieren.

Aber Antisemitismus kommt auch von Links und Rechts: In den 1970er Jahren ist bei uns der linksradikale Antisemitismus entstanden mit starker Empathie für Palästina. Die Rechtsradikalen berufen sich auf das rassische Grundmotiv und ächten eine Minderheit. Es wird Kritik am Staat Israel mit klassischen antisemitischen Mustern vermischt, gern auch angeblich wissenschaftlich begründet. Es ist klar: Kritik am Staat Israel muss möglich sein. Aber Israelkritik darf nicht antisemitisch sein. Und man muss sich mal klar machen, dass die Juden hierzulande keine Verantwortung dafür tragen, was in Israel passiert.