Das Haus "Respiratio" hat seit ein paar Wochen eine neue Leitung: Die Pfarrerin der badischen Landeskirche und Pastoralpsychologin, Dagmar Kreitzscheck (59). Kreitzscheck folgt auf Pfarrer Hans-Friedrich Stängle, der inzwischen im Ruhestand ist.
Kreitzscheck erzählt, warum sie die gemeinsame Einrichtung der Landeskirchen von Baden, Württemberg und Bayern so wichtig findet und schätzt.
Frau Kreitzscheck, was hat Sie als Pfarrerin der badischen Landeskirche an den Schwanberg gelockt?
Kreitzscheck: Das Haus "Respiratio" ist eine großartige Einrichtung unserer drei Landeskirchen. Hier bemühen und kümmern sich unsere Kirchen um ihr Personal. Dieses Haus ist eine sinnvolle Einrichtung für jemanden, der sich selbst für sechs Wochen aus dem Verkehr ziehen muss, weil er nicht mehr kann. Hier wird ihm dann psychotherapeutisch und körpertherapeutisch geholfen. Das ist gut so.
In Baden haben Sie sich ja auch um die Seelen der Seelsorger gesorgt. Welche Anknüpfungspunkte gibt es für Sie zum "Respiratio"?
Kreitzscheck: Gleich mehrere. Einen biografischen, einen inhaltlich spirituell-atmosphärischen und einen dienstlichen. Ich fange mal von hinten an. Ich mache in der badischen Landeskirche seit zwölf Jahren Supervisionen und habe seither immer Kontakt mit den schwierigen Seiten des Pfarrberufs. Inzwischen habe ich durch diese Erfahrung eine klare Vorstellung davon, wie etwa Burn-outs zustande kommen...
...wie zum Beispiel?
Kreitzscheck: Strukturell hat sich der Pfarrberuf in den vergangenen etwa drei Jahrzehnten stark verändert - ohne dass Einzelne da immer Einfluss draufhätten. Ich bin inzwischen seit 35 Jahren im Dienst und finde, dass der Beruf heute wirklich ein anderer ist.
Was ist der dienstliche Anknüpfungspunkt?
Kreitzscheck: Seit dem Jahr 2000 bin ich vor allen Dingen im Bereich übergemeindlicher Seelsorge tätig, zuerst in der Klinikseelsorge an der Universitätsklinik Heidelberg, danach war ich mehr als zehn Jahre in der pastoralpsychologischen Fort- und Weiterbildung in Baden tätig. Ich habe die Kollegen und Kolleginnen in der Seelsorge fortgebildet - und dabei wird therapeutisches Handwerkszeug verwendet, das ich hier am Schwanberg auch benötige. Nur eben mit anderer Zielrichtung.
Also wechseln Sie quasi das "Ressort": von der pädagogischen Weiterbildung zur therapeutischen Begleitung?
Kreitzscheck: Sozusagen. Und mein ganz persönlicher, biografischer Anknüpfungspunkt ist: Ich war im Jahr 1996 kurz nach der Eröffnung des Hauses "Respiratio" selbst mal für einen Sechs-Wochen-Kurs hier.
Das hat mir nicht nur gut gefallen, sondern wirklich sehr geholfen.
Lassen Sie uns noch mal darauf zurückkommen, dass sich das Berufsbild so stark verändert hat. Können Sie das weiter erläutern?
Kreitzscheck: Es gibt strukturelle Faktoren, auf die der Einzelne nicht viel oder gar keinen Einfluss hat. Zum Beispiel: Das gesamte Feld der Ehrenamtlichen hat sich geändert. Da gab's seit Mitte der 1980er Jahre einen Paradigmenwechsel, weg vom "klassischen Ehrenamtlichen", der überall und viele Jahrzehnte dabei war, hin zu Ehrenamtlichen, die in der Regel projektbezogen mitarbeiten wollen für eine überschaubare Dauer. Das soll keine Bewertung sein, sondern eine Beschreibung.
Und inwiefern ist das jetzt problematisch oder belastend für die Pfarrerinnen und Pfarrer in einer Kirchengemeinde?
Kreitzscheck: Naja, Pfarrerinnen und Pfarrer mussten sich zwar auch früher um ihre Ehrenamtlichen kümmern, sie bei der Stange halten, sie motivieren, die Beziehungen pflegen. Aber heute sind Pfarrerinnen und Pfarrer ständig im "Rekrutierungsmodus".
Der "Bereich" Ehrenamtliche war früher außerdem oft Aufgabe der Pfarrfrau.
Das gibt es heute einfach so nicht mehr - Pfarrpartner sind in der Regel selbst berufstätig und nicht mehr ehrenamtlich mit in der Gemeinde engagiert. Der Gemeinde steht diese kostenlose zweite Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung.
Das heißt: Pfarrerinnen und Pfarrer müssen neben der Führung des Pfarramts auch noch viel Beziehungspflege betreiben?
Kreitzscheck: Das besonders und noch viel mehr. Alles hat sich professionalisiert, die Ansprüche sind enorm gestiegen. Die Pfarrperson soll persönlich gut drauf und theologisch fit sein, gut predigen können und auch sonst alles wissen - von der Leitung des Kindergartens bis hin zur Veranstaltungsorganisation, außerdem digital gut aufgestellt und medial präsentabel, nicht erst seit Corona. Das ist schon viel. Oft ist es zu viel.
Liegt das auch daran, dass viele die Kirche - und damit auch die Pfarrerschaft - vor allem als Dienstleister sehen?
Kreitzscheck: Grundsätzlich ist der Dienstleistungsgedanke ja nicht schlecht. Aber gute Dienstleistung braucht ausreichend Manpower. Bis in die 1990er Jahre hinein hatten wir in den Gemeinden eine "Komm-Struktur", die Pfarrerinnen und Pfarrer haben Angebote gemacht und die Menschen sind zu uns gekommen.
Inzwischen geschieht die meiste Pfarramtsarbeit in der "Geh-Struktur", das heißt, man muss hin zu den Leuten, sie dort abholen, wo sie sind. Man muss missionarisch im besten Wortsinn sein. Viele Menschen kommen nicht mehr von selbst. Das braucht Personal. Und Zeit. Und beides ist heute eher knapp.
Diese vielfältigen Anforderungen überfordern also mitunter. Weshalb gehen Pfarrer dann nicht in eine Burnout-Klinik?
Kreitzscheck: Das tun ja viele kirchliche Mitarbeiter - Pfarrer, Diakone, Kirchenmusiker. Es gibt viele gute psychosomatische Kliniken. Aber das Angebot im Haus "Respiratio" unterscheidet sich davon in einem ganz entscheidenden Punkt: Die Gäste sind sechs Wochen in einer geschlossenen Gruppe zusammen, deren Mitglieder beschäftigen sich miteinander und therapieren sich auch ein Stück weit untereinander. Weil alle aus einem ähnlichen Kontext kommen, haben sie Verständnis für die Probleme der anderen.
Um was geht es im "Respiratio" vor allem? Verschnaufpause und Erholung oder Therapie und Rüstzeug-Vermittlung?
Kreitzscheck: Sowohl als auch. In den ersten Tagen, etwa bis zu zwei Wochen, geht es schon in erster Linie ums Durchschnaufen und zur Ruhe kommen. Dazu gehört viel Schlaf, Essen, keine Arbeit. Und am besten kappen sie in dieser Zeit möglichst ihre "Verbindungen" nach Hause, bis auf den abendlichen Anruf bei der Familie vielleicht. Nach der ersten Phase geht es um salutogenetische Ansätze - also etwas für Körper und Geist. Und es dreht sich auch darum, wo die Ressourcen des eigenen Glaubens liegen auch und gerade wenn man in Krisen gerät.
Wie viele Ihrer Gäste sind nach den sechs Wochen wirklich bereit für einen Wiedereinstieg in den Beruf?
Kreitzscheck: Sagen wir es andersherum. Es gibt in jedem unserer Sechs-Wochen-Kurse mit acht Teilnehmern im Schnitt zwei, denen wir eine weitere psychotherapeutische Behandlung empfehlen. Sie kehren nicht einfach so wieder ins Pfarramt zurück. Manche kommen auch erst nach einer längeren Krankschreibung zu uns und wollen sich bei uns so sortieren, dass sie auf möglichen neuen Stellen gut zurechtkommen.
Wer ins "Respiratio" will, beweist schon ein Stück weit Mut. Schließlich gesteht er sich ein Problem ein, oder?
Kreitzscheck: Ja. Wir nehmen auch nur Leute, die wirklich von sich aus zu uns kommen wollen. Wir nehmen niemanden, der gegen seinen Willen geschickt wurde. Das macht keinen Sinn.
Um erfolgreich etwas verändern zu können, ist die Einsicht nötig, dass man etwas verändern muss.
Aber die Empfehlung kann von außen kommen - und meist gibt es zumindest einen Anstoß, weil Freunde, Partner oder Vorgesetzte sagen: Lass dir doch mal helfen!
Sie nehmen Gäste aus allen EKD-Kirchen und darüber hinaus auf. Da kommt auch eine theologisch bunte Mischung zusammen...
Kreitzscheck: ...aber solche Kulturunterschiede sind spannend und sogar hilfreich. Nehmen Sie mal die Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Osten Deutschlands - die sind uns in der Entwicklung der Kirchen um Jahrzehnte voraus. Die kennen den Pfarrermangel schon viel länger, den Mitgliederschwund, das Verkaufen von Kirchengebäuden.
Das kann für die kirchlichen Mitarbeiter aus Landeskirchen wie Bayern, Baden und Württemberg schon hilfreich sein. Denn in den ostdeutschen Kirchen gestalten sie kirchliches Leben unter Bedingungen, die uns im Westen auch ereilen werden.
Sie helfen überlasteten Pfarrerinnen und Pfarrern - aber Sie arbeiten hier mit ihren Gästen quasi rund um die Uhr...
Kreitzscheck: Während der Sechs-Wochen-Kurse bleibt in der Tat wenig Freizeit und Zeit für anderes, aber ich habe freie Wochenenden und immer 14 Tage Pause zwischen den Kursen. Ich war vorher elf Jahre in der Klinikseelsorge tätig, da war ich während vieler Zeiten mit dem Handy unterwegs und oft rund um die Uhr auf Abruf bereit. Das ist auf dieser Stelle anders. Seit Juli bin ich zum Einarbeiten hier und empfinde die Balance zwischen Arbeit und freier Zeit als verträglich.
Welche Rolle spielt die Lage des Hauses "Respiratio" hier auf dem Schwanberg, in direkter Nachbarschaft zur Communität Casteller Ring?
Kreitzscheck: Ich glaube schon, dass es nicht egal ist, wo dieses Haus steht. Alleine dieser Berg hat etwas Besonderes - seit keltischen Zeiten gilt er als mystischer Ort, er ist sozusagen ziemlich "durchgebetet". Das heißt: Dass wir direkt nebenan eine evangelische Frauen- Kommunität in benediktinischer Tradition haben, ist ein großes Glück. Vielen unserer Gäste tut das sehr gut, weil man sich in diese benediktinischen Riten regelrecht hineinfallenlassen kann.