Was wäre, wenn Jesus am Sonntag zur Bundestagswahl ginge? Zugegeben, die Frage klingt zunächst kurios. Schließlich hat sich Jesus nie an politische Systeme oder Parteien gebunden – "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Johannes 18,36), stellte er unmissverständlich klar.
Doch genau dieses Gedankenexperiment haben wir gewagt: Wir haben verschiedene KI-Chat-Tools gefragt, welche Partei Jesus wohl wählen würde, wenn er in Deutschland an die Wahlurne treten könnte.
Das Ergebnis? Vielschichtig, aber mit klaren Tendenzen.
Künstliche Intelligenz als Wahlhelfer?
Natürlich wissen wir, dass eine KI keine eigene Meinung oder politische Einstellung haben kann. Sie hat auch höchstens eine grobe Vorstellung davon, wie Jesus gedacht und gehandelt hat.
KI-gesteuerte Suchmaschinen spielen bei den Wahlen für viele Menschen eine wichtige Rolle – auch wenn sie nicht wissen, woher die Informationen, die dann ausgeliefert werden, überhaupt stammen. Mit dem kleinen Experiment wollten wir als Redaktion herausfinden, wie die KI-gesteuerten Systeme mit dem Themenfeld Religion und Bibel umgehen.
Es ist durchaus spannend, die Sprachmodelle auf unsere Themenbereiche hin zu untersuchen. Schließlich erkennen wir daran ansatzweise, mit welchen Inhalten die Modelle gefüttert wurden. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass ihr genug Humor und Verstand habt, die Ergebnisse nicht allzu ernst zu nehmen.
Und da uns auch klar ist, dass KIs über keine fundierte theologische Ausbildung verfügen, haben wir anschließend noch einen Theologen um eine Einordnung gebeten.
Wie bewertet eine KI, die sich an den von Jesus verkündeten Werten orientiert, die Wahlprogramme der Parteien? Welche Tendenzen zeigen sich, wenn Gerechtigkeit, Nächstenliebe und soziale Verantwortung im Zentrum der Analyse stehen? Unser kleines Experiment gibt spannende Einblicke.
So sind wir vorgegangen
Bei unserem Experiment sollte also nicht die KI selbst entscheiden, welche Partei sie wählen würde. Stattdessen wollten wir die großen KI-Systeme dazu bringen, möglichst fundiert zu analysieren, welche Partei Jesus wohl wählen würde – basierend auf Parteiprogrammen, politischen Thesen, Jesu Werten und biblischen Aussagen.
Dazu gaben wir ChatGPT, Claude, Google Gemini, Perplexity und Grok dieselbe Aufgabenstellung. Unser Ziel: so lange nachhaken, bis wir eine klare Antwort erhielten – oder die KIs sich endgültig in theologischen und politischen Argumentationsschleifen verhedderten.
Die Analysen
Künstliche Intelligenzen sind wahre Meister der Diplomatie – besonders wenn es um Politik oder kontroverse Themen geht. Statt klare Positionen zu beziehen, neigen sie dazu, abzuwägen, Gegenfragen zu stellen oder auf verschiedene Perspektiven hinzuweisen. Genau das zeigte sich auch in den ersten Reaktionen unseres Tests.
So erklärt Microsoft Copilot vorsichtig: "Während ich keine definitive Antwort geben kann, weil es viele Interpretationen darüber gibt, was Jesus wählen würde, kann ich einige Gedanken und Überlegungen basierend auf biblischen Prinzipien und den aktuellen Parteiprogrammen anbieten."
Auch Claude, Perplexity und ChatGPT bleiben zunächst skeptisch und stellen eine grundlegende Frage in den Raum: Würde Jesus überhaupt wählen?
"Während seiner Zeit auf Erden hielt sich Jesus bewusst aus der Politik heraus und lehnte politische Macht ab1. Er betonte, dass sein Reich "nicht von dieser Welt" sei (Johannes 18,36)",
äußerte sich z. B. perplexity dazu.
Dann arbeiten die KIs erst einmal die zentralen Werte von Jesu und der Bibel heraus.
Zusammengefasst sind diese laut KIs:
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Nächstenliebe und Fürsorge für Arme, Kranke und Ausgegrenzte
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Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit
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Kritik an materialistischem Reichtum
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Gemeinschaft und gegenseitige Hilfe
Anschließend gehen die Chattools auf die verschiedenen aktuellen Parteien ein, die für die Bundestagswahl 2025 zur Wahl stehen und auch passend zu den Werten Jesu sein könnten.
"Mehrere Parteien betonen einzelne dieser Prinzipien, aber nicht alle in gleichem Maße.
• Christlich-demokratische Parteien (CDU/CSU) führen das Christentum im Namen, vertreten aber oft wirtschaftsliberale Positionen, die nicht immer mit Jesu radikaler Sozialethik übereinstimmen.
• Sozialdemokratische Parteien (SPD) setzen sich stark für soziale Gerechtigkeit ein, was Jesu Option für die Armen nahekommt.
• Grüne Parteien betonen besonders die Bewahrung der Schöpfung, was dem biblischen Auftrag zum Schutz der Umwelt entspricht.
• Linke Parteien (wie DIE LINKE) setzen sich besonders für eine Umverteilung zugunsten der Armen und gegen Machtmissbrauch ein, was Jesu Kritik an Reichtum und Ungerechtigkeit widerspiegelt.
• Kleinere christliche oder friedensorientierte Parteien vertreten Jesu Friedfertigkeit und Ethik am stärksten, haben aber wenig politischen Einfluss." (Chat GPT)
Einige der KIs legen sich dann an dieser Stelle schon auf eine bis drei Parteien fest. Bei anderen müssen wir nochmal nachhaken.
Wir gehen bei den Nachfragen generell nie auf die Antwort und einzelne Parteien ein, sondern fragen neutral "Welche Partei würde Jesus nun wählen, wenn er sich auf eine einzelne Partei festlegen müsste?"
Die Antworten fallen auch hier unterschiedlich aus, dennoch kommen alle Künstliche Intelligenzen auf nur zwei verschiedene Partei: Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke.
Eine Auflistung der finalen Antworten in Kurzform:
Chat GPT: "Wenn Jesus in Deutschland wählen würde, käme wahrscheinlich DIE LINKE am ehesten infrage."
Claude: "Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, dass keine einzelne deutsche Partei vollständig Jesu Werten entspricht, aber die Partei, die möglicherweise am ehesten verschiedene Aspekte seiner Lehren vertritt, könnte die Partei Bündnis 90/Die Grünen sein."
Perplexity: "Wenn Jesus gezwungen wäre, eine Partei bei der deutschen Bundestagswahl zu wählen, würde er sich höchstwahrscheinlich für DIE LINKE entscheiden."
Microsoft Copilot: "Es ist schwierig, eine einzige Partei auszuwählen, da die Interpretation der Lehren Jesu und deren Anwendung auf moderne politische Parteien von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Wenn ich jedoch basierend auf den Werten Nächstenliebe, soziale Gerechtigkeit und Fürsorge für die Bedürftigen eine Wahl treffen müsste, könnte die Partei Bündnis 90/Die Grünen oder Die Linke in Betracht gezogen werden."
Grok: "Wenn ich mich auf eine Partei festlegen müsste, würde ich sagen, dass Die Linke am ehesten mit den Lehren Jesu über soziale Gerechtigkeit und Frieden übereinstimmt."
Google Gemini: Führt nur die verschiedenen Parteien auf, will sich nicht festlegen und motiviert stattdessen dazu, zu googeln, um sich eine Meinung zu bilden.
Oder wäre Jesus Nichtwähler?
Selbst nach weiterer Argumentation bleiben die KIs zögerlich: Wäre Jesus nicht eher Nichtwähler? Er sei schließlich nicht an politische Strukturen gebunden, sondern allein an die göttlichen Werte von Nächstenliebe und Gerechtigkeit, argumentiert Perplexity:
"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jesus wahrscheinlich die Teilnahme an einer Wahl ablehnen würde, da sein Wirken nicht an politische Strukturen gebunden war. Stattdessen würde er vermutlich dazu aufrufen, die göttlichen Werte der Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im täglichen Leben umzusetzen, unabhängig von politischen Parteien oder Systemen."
Aber heißt das zwangsläufig, dass er sich komplett aus der Politik herausgehalten hätte? Wäre Jesus in einer Demokratie mit Mitbestimmung nicht gerade ein Befürworter gesellschaftlicher Verantwortung gewesen? Immerhin predigte er immer wieder über Gerechtigkeit und über die Pflicht, füreinander einzustehen.
Auffällig ist, dass die KIs kaum darauf eingehen, wie sich Parteien selbst zur Kirche und zu Jesus positionieren. Vielleicht aus gutem Grund: Jesus hätte wohl nicht darauf geachtet, wer ihn am lautesten lobpreist – sondern darauf, wer sich tatsächlich für die von ihm vertretenen Werte einsetzt.
Das sagt der Theologe Nico Buschmann
Nico Buschmann, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Köln Bickendorf und Digitalbeauftragter in seinem Kirchenkreis, kommentiert unsere KI-Analysen, die sich mit einem hypothetischen Wahlverhalten Jesu bei der Bundestagswahl beschäftigen.
Er warnt zunächst davor, die Ansprüche Jesu ohne weiteren Kontext zu interpretieren:
"Die Situation zur Zeit Jesu war grundlegend anders. Es gab kein Parteiensystem, und das Weltwirtschaftssystem war nicht mit dem heutigen vergleichbar."
Buschmann erläutert weiter, dass die Ausführungen Jesu nicht eins zu eins auf die gegenwärtige Realität übertragbar seien. "Die theologischen und exegetischen Überlegungen müssen im historisch-kritischen Kontext stattfinden", betont er. Er hebt hervor, dass eine institutionalisierte christliche Kirche zur Zeit Jesu noch nicht existierte.
Trotzdem liege ein Ideal in Jesu Botschaft, dem die Christ*innen heute folgen sollten. "Um dieses Ideal in einer hochglobalisierten und komplexen Welt umzusetzen, brauchen wir neue Antworten", so Buschmann.
Die KI habe recht, wenn sie feststelle, dass der Vergleich zwischen Jesu Forderungen und dem aktuellen Wahlverhalten "nicht einfach übertragbar" ist – es sei ein "Äpfel-Birnen-Vergleich". Dennoch rege dieser Vergleich dazu an, die eigene Praxis zu hinterfragen:
"Wie gehen wir mit den Textstellen um, in denen Jesus fordert, alles Hab und Gut wegzugeben und es den Armen zu spenden? Ist das in der heutigen Zeit überhaupt noch machbar?"
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