Der Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, Udo Hahn, sieht die deutsche Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) nicht als gescheitert an. Mitte der 1980er-Jahre habe Michail Gorbatschow als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion das Motto "Wandel durch Annäherung" ernst genommen, was zum Ende des Kalten Krieges und zur deutschen Wiedervereinigung geführt habe, sagte der evangelische Pfarrer im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der jetzige russische Präsident Wladimir Putin sehe angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine die Dinge grundlegend anders und im Werk Gorbatschows eine Art Betriebsunfall, der den Zusammenbruch der Sowjetunion zur Folge hatte, sagte Hahn weiter. Die Frage sei nun: Komme wieder eine Zeit, in der "Wandel durch Annäherung" in den Vordergrund rückt? Dazu brauche es aber Menschen, die darin einen Wegweiser sehen, dass alle Beteiligten etwas davon haben.
Die Evangelische Akademie Tutzing feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Die zentrale Jubiläumstagung findet dieses Wochenende (23. bis 25. September) unter dem Motto "Vorausdenken" statt. Seit ihrer Gründung im Jahr 1947 gab es einige denkwürdige Tagungen am Starnberger See: Der SPD-Politiker Egon Bahr, der damals Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin war, formulierte 1963 in der Akademie erstmals seine Idee von "Wandel durch Annäherung". Später arbeitete er unter diesem Leitgedanken die Details der Brandt'schen Ostpolitik ab 1969 aus.
Nächstes Jahr - zum 70. Jahrestag der Rede Egon Bahrs - wolle man das Motto "Wandel durch Annäherung" bei einer Tagung würdigen, kündigte Hahn an. Zugleich wolle man schauen, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die viel gerühmte deutsche Ostpolitik verändert habe. Dabei werde es auch um die Frage gehen, wie Deutschland und der Westen künftig mit Ländern wie China umgehen könnte.