Augsburg (epd). Die Corona-Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht vom Dienstag sind nach Einschätzung des Augsburger Verfassungsrechtlers Josef Franz Lindner kein Freibrief für einen erneuten Lockdown. "Insgesamt war die Entscheidung so erwartbar", sagte der Rechtsprofessor laut Mitteilung der "Augsburger Allgemeinen" am Dienstag. Der Gesetzgeber sollte sie "nicht als Freifahrtschein für ein blindwütiges Draufhauen verstehen". Das Gericht weise an verschiedenen Stellen darauf hin, "dass der Impffortschritt zu berücksichtigen ist", erläuterte der Verfassungsrechtler.

Man könne die Entscheidung der Karlsruher Richter, dass die sogenannte Bundesnotbremse in diesem Frühjahr und Sommer rechtens war, "mitnichten auf die heutige Lage 1:1 zu übertragen". Heute sei die Impfquote zehnmal so hoch wie im April letzten Jahres. "Ausgangsbeschränkungen für alle wären heute verfassungswidrig." Es müsse zwischen Ungeimpften, Genesenen, Geimpften und Geboosterten unterschieden werden, meinte Lindner. Generelle Schließungen von Klubs, Bars und engen Kneipen hält er wegen der dort unvermeidlichen, engen Kontakte dennoch für möglich.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstagmorgen die Bundesnotbremse zur Eindämmung der Corona-Pandemie als rechtmäßig eingestuft. Nach Einschätzung der Karlsruher Richter waren die Ausgangsbeschränkungen sowie vom Bund angeordneten Schulschließungen zwar Eingriffe in die Grundrechte. Das Konzept habe aber dem Lebens- und Gesundheitsschutz und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems als überragend wichtigen Gemeinwohlbelangen gedient.

Auch bei den angeordneten Schulschließungen hätten dem Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung "überragende Gemeinwohlbelange" gegenübergestanden, hieß es weiter. Das Verbot von Präsenzunterricht sei "formell und materiell verfassungsgemäß" gewesen.