In den Monaten September und Oktober hatte Marlene S.* gerade mal jeweils 50 Euro, um Lebensmittel für sich und ihre eineinhalbjährige Tochter Philippa zu kaufen. Schuld an der prekären Situation der alleinerziehenden Studentin aus Würzburg war das Bayerische Familiengeld. Das führte dazu, dass das Jugendamt die Krippenkosten für Philippa nicht übernahm. Marlene S. sollte dafür das Familiengeld verwenden. Doch das hatte sie gar nicht. Denn es wird ihr vom Hartz IV-Geld abgezogen.

Im November soll Marlene S. nun wieder das volle Existenzminimum zur Verfügung haben. Das geht aus einem Brief des Jugendamts vom Freitag hervor. Das Amt teilt der jungen Frau mit, dass ihr "vorläufig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage" die Kita-Kosten gewährt werden. Dies soll allerdings "längstens" bis Jahresende geschehen. Marlene S. wird also nur für zwei Monate entlastet. Dem Schreiben ist nicht zu entnehmen, was passieren wird, wenn das Jugendamt Recht bekommt mit seiner Weigerung, die Kita-Kosten zu übernehmen. Muss Marlene S. dann alles zurückzahlen?

Nicht alle betroffenen Eltern wurden am Freitag über den Kurswechsel des Jugendamts informiert. "Wir haben noch immer keinen Bescheid", sagt Franziska T. Sie zeigt auf einen dicken Aktenordner, in dem die Turbulenzen der vergangenen Wochen dokumentiert sind. In diesem Fall geht es um die Kita-Kosten für ihre zweijährige Enkelin Sophia. Auch hier stellte das Jugendamt die Übernahme der Gebühren im September ein. Sophias Mama Tina T., 23 Jahre alt, alleinerziehend, in Teilzeit beschäftigt und Hartz IV-Aufstockerin, kann die Gebühr nicht zahlen. Über 400 Euro Schulden sind bereits aufgelaufen.

"Das ist doch verrückt"

"Das ist doch verrückt!", meint ihre Mutter Franziska T., die ihre völlig überforderte Tochter beim "Papierkrieg" unterstützt. Die Familie nahm einen Anwalt, der riet, Widerspruch gegen den Bescheid des Jobcenters einzulegen. Das Jobcenter lehnte den Widerspruch ab. Auch das Jugendamt ließ noch im Oktober keinen Widerspruch gelten. Auf Anraten des Anwalts zog die Familie vor das Sozialgericht. Wie viele betroffene unterfränkische Familien bisher Klage erhoben haben, kann Ulrich Wagner, Pressesprecher des Würzburger Sozialgerichts, nicht sagen. "Wir erfassen statistisch keine Verfahrensgegenstände", sagt er.

Nach Rücksprache mit den Richtern der entsprechenden Kammern sind erste Fälle, die das Familiengeld betreffen, beim Gericht angekommen: "Aber noch kann man nicht von einer Klagewelle sprechen." Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass weitere Verfahren anhängig werden. In der letzten Stadtratssitzung hatte Würzburgs Sozialreferentin Hülya Düber angekündigt, dass das Jugendamt die Kita-Kosten vorläufig wieder übernehmen werde. Auch Düber gefällt das Hin und Her um die neue Leistung nicht. "Die Situation ist sehr komplex", erklärt die Juristin.

Nach einer aktuellen rechtlichen Beurteilung sei die Rechtslage tatsächlich so, dass Hartz IV-Beziehern das Familiengeld einerseits als Einkommen angerechnet wird, parallel kommen sie um die bisher übliche Erstattung des Krippenbeitrags durch die Kommune. Das Familiengeld in seiner derzeitigen rechtlichen Ausgestaltung ist demnach also keine Unterstützung für arme Eltern. Im Gegenteil. Es stürzt Eltern in prekären Lebensverhältnissen in noch größere Not.

Rechtsunsicherheit zu Lasten der Familien

"Wir haben nun stadtintern beschlossen, die Anrechnung vorübergehend auszusetzen", sagt Düber. Die Krippenbeiträge würden auf freiwilliger Basis übernommen: "Die Monate September und Oktober werden nachgezahlt." Sollte die Rechtslage bis Jahresende nicht geklärt sein, werde eine Verlängerung der Kitakosten-Übernahme geprüft. "Meiner Meinung nach darf die aktuelle Rechtsunsicherheit nicht zu Lasten der Familien gehen", betont die Sozialreferentin.

Nicht überall in Bayern scheinen die Jugendämter so vorgegangen zu sein wie in Würzburg. "Aus Nürnberg kenne ich derzeit keine derartigen Fälle", erklärt Karin Mack von der Evangelischen Fachstelle Alleinerziehende Nürnberg und Nordbayern. Was die betroffenen Familien aus Würzburg nun zwei Monate lang mitmachen mussten, sei inakzeptabel: "Wenn familienpolitische Leistungen mal wieder nicht bei den Kindern ankommen, die es am dringendsten benötigen, weil sie gegen andere Leistungen verrechnet werden, bleibt nur Ärger und Kopfschütteln."

Den Kopf schütteln auch die Beraterinnen von Pro Familia in Würzburg, wohin sich Marlene S. in ihrer Not wandte. "Man sollte von der Politik erwarten können, dass Fragen wie die Anrechnung des Familiengelds auf die Leistung vom Jobcenter vor der Einführung rechtssicher geklärt werden", sagt Beate Schlett-Mewis, Leiterin der Schwangerenberatung. Nach wie vor seien die Mütter, die sich bei Pro Familia beraten lassen, zutiefst verunsichert. Groß sei vor allem die Angst, dass sie auf einen Schlag alles zurückzahlen müssen, was sie nun vom Jugendamt bekommen.

"Hickhack zwischen Bund und Land"

Auch der Familienbund der Katholiken (FDK) im Diözesanverband Würzburg kritisiert, dass das "Hickhack zwischen Bund und Land" so drastische Auswirkungen auf arme Familien hat. FDK-Vorsitzender Michael Kroschewski fordert, das Familiengeld nicht auf Hartz IV anzurechnen. Nur dann würde es Not lindern: "Vor allem aber haben es die Eltern verdient."

(* Namen aller Familien geändert)