Die zehn Schülerinnen und Schüler im Klassenraum überlegen, was für eine Freundschaft wichtig ist. In dieser Stunde steht für sie das Fach "Glück" auf dem Plan. "Einsamkeit ist so gesundheitsschädlich wie Rauchen oder Fettleibigkeit", lesen sie aus einer Information vor.

"Menschen mit besonders vielen alten Freunden sollen tendenziell am glücklichsten sein."

Jungs und Mädchen arbeiten getrennt, schreiben ihre Ergebnisse auf. Janis erklärt: "Ein Freund muss respektvoll mit einem umgehen, sich Zeit nehmen, zuverlässig sein, geduldig und freundlich. Das Wichtigste ist, dass Freunde sich vertrauen können."

Sarina sagt: "Eine Freundin muss hilfsbereit sein, ehrlich, loyal und vertrauensvoll. Sie vergleicht einen nicht mit anderen und ist bereit, Verantwortung in der Freundschaft zu übernehmen."

Nach der Stunde erklärt Lehrer Marc Englert: "Freundschaft ist ganz wichtig für Glück." Fast alle Schülerinnen und Schüler nennen Vertrauen als zentralen Wert. Zu dessen Förderung mache die Klasse praktische Übungen, etwa die "warme Dusche", bei der sich die Schüler gegenseitig Komplimente machen.

Glück ist lernbar 

"Glück kann man lernen", sagt Englert. Er ist stellvertretender Schulleiter der Solgrabenschule im hessischen Bad Nauheim. Seit der Pandemie seien viele Kinder "in einem Loch", er beobachte Vorstufen von Manie oder Depression. Außerdem trauten sich Schülerinnen und Schüler in der Pubertät vieles nicht zu. Im Schulfach "Glück" lernten sie, sich zu öffnen und anderen und sich selbst zu vertrauen. Seit Englert das Wahlpflichtfach an der Mittelstufenschule vor sieben Jahren einführte, sei es an der Schule fest etabliert und unter den Achtklässlern beliebt.

Vielfältiges Schulfach 

Die Schülerinnen und Schüler bestätigen das: "Ich finde das Fach super", sagt Janis. "Man lernt, das Glück besser zu verstehen." An Erkenntnissen hat er gewonnen: "Man sollte die kleinen Dinge im Alltag wertschätzen, die glücklich machen. Und wenn der Tag nicht so gut gelaufen ist, sollte man das Negative zum Guten wenden." Auch Sarina findet das Fach gut und hat über das Glück nachgedacht: "Glück sind nicht immer Geschenke, Glück ist Gesundheit und Familie." Beeindruckt hat sie im Unterricht, "dass Glück im Unglück erfahren werden kann".

In dem besonderen Schulfach geht es darum zu erkennen, was Glück ist und was Glückskiller sind, wie der Lehrer erläutert. "Anerkennung ist der größte Glücksfaktor für die Schülerinnen und Schüler." Unglücklich mache sie hingegen die übermäßige Nutzung von Social Media, die Beleidigungen darin und die unerreichbaren Idealbilder. Im Unterricht gehe es darum, den kritischen Blick auf diese Zusammenhänge zu schärfen und das Selbstvertrauen zu stärken. Es gibt auch Noten im Fach - an der Solgrabenschule bisher zwischen eins und vier.

Das Konzept für den Glücksunterricht geht zurück auf Ernst Fritz-Schubert, den ehemaligen Schulleiter der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule und Therapeut. 2007 startete er mit einem Team das Projekt "Schulfach Glück" mit dem Ziel, die seelische Gesundheit, Lebensfreude und Persönlichkeitsentwicklung im Schulalltag zu fördern. Daraus ist das Fritz-Schubert-Institut für Persönlichkeitsentwicklung entstanden. "Ein glücklicher Mensch ist ein wirksamer Gestalter seines Lebens, der für sich Sinn gefunden hat und achtsam mit sich, seinen Mitmenschen und der Natur umgeht", fasst das Institut zusammen.

Große Nachfrage des Schulfaches 

Inzwischen hätten sich rund 500 Lehrkräfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz für das Schulfach fortgebildet, erläutert Mitarbeiterin Monja Neuser. Mehr als 400 Schulen in allen Bundesländern hätten Glück eingeführt als Schulfach, Wahlfach oder AG. Lehrkräfte nutzten die Fortbildung auch, um ihren Unterricht fächerunabhängig zu verbessern.

Der Erfolg des Glücksunterrichts zieht Kreise: In Zusammenarbeit mit dem Fritz-Schubert-Institut läuft in der bayerischen Oberpfalz die Einführung des Faches "Persönliche Entwicklung" an Berufs- und Wirtschaftsschulen. Nach dem Erfolg an Tiroler Schulen ist an der Pädagogischen Hochschule Tirol in Innsbruck ein Fortbildungsstudium für Pädagogen unter dem Namen "Stark fürs Leben" eingerichtet worden.

Um die Schüler dafür zu sensibilisieren, was glücklich machen kann, erarbeitet Marc Englert mit ihnen einen Tagesplan: Der Gang mit dem Hund, der Sport, das Treffen mit einem Freund - "an jedem Tag gibt es etwas, das Freude macht", sagt er. Eine Studentin der Universität Gießen habe für ihre Masterarbeit ein Jahr lang den Unterricht besucht, erzählt er. Ihr Ergebnis: Schüler, die das Fach Glück besucht hätten, seien entspannter, achtsamer und hätten etwas bessere Noten.

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