"Woher wussten Sie, was Sie studieren wollen?", fragt ein Schüler einer achten Klasse der Erlanger Eichendorffschule den Forscher Christoph J. Brabec, Leiter der Solarfabrik der Zukunft (SFF) am Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften in Erlangen. "Ich wollte immer Medizin studieren, bis ich dann bemerkt habe, dass ich keine Nadeln sehen kann", antwortet Brabec, dessen Fachgebiet heute Photovoltaik ist, und lacht. Es ist nicht der erste Termin, bei dem die Schülerinnen und Schüler sehen, dass Lebensläufe nicht kerzengerade sein müssen. "Wir begegnen auch immer wieder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die selbst auf der Mittelschule oder der Realschule waren", erzählt Projektkoordinatorin Theresa Lorenz.
Diese Verbindungen sind genau das, was sich die Pädagogin vom Projekt "Gemeinsam" erhofft, das vom Schulmuseum an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) durchgeführt wird. Das Vorhaben möchte Jugendliche mit Migrationshintergrund oder herausforderndem sozialen Umfeld für Naturwissenschaften und moderne Forschung begeistern. Dafür arbeitet das Schulmuseum mit vier Mittelschulen in Erlangen und Nürnberg zusammen und nimmt Schüler der 8. Jahrgangsstufe ein Schuljahr lang in Sonderschulstunden und Exkursionen mit in die Spitzenforschung.
"Im Projekt zeigen wir ihnen vielleicht auch Berufe, die sie vorher gar nicht auf dem Schirm hatten"
Im Zentrum des Projekts steht das Thema Klimawandel, an das zwölf Gruppen mit zwölf unterschiedlichen Fragestellungen herangehen. Während eine Gruppe den Fokus auf die Auswirkungen auf die Meere setzt, sieht sich eine andere Gruppe den Zusammenhang mit Mobilität und wiederum eine andere mit dem Boden an. "Wissenschaftsvermittlung ist eines unsere Ziele, dafür gehen wir aber nicht nur an die Uni", erklärt Lorenz. Wichtig sei auch zu sehen, wo das Wissen angewandt wird. "Es ist näher an den Schülerinnen und Schülern, wenn wir zeigen, dass es Berufe gibt, die sich schon damit beschäftigen oder die Auswirkungen spüren."
In der 8. Klasse sind an Mittelschulen Praktika Teil des Lehrplans, damit die Jugendlichen sich auf das Berufsleben vorbereiten, das für einige schon nach der 9. Klasse beginnt. "Im Projekt zeigen wir ihnen vielleicht auch Berufe, die sie vorher gar nicht auf dem Schirm hatten", sagt Lorenz. So können auch Mädchen technische oder handwerkliche Berufe kennenlernen.
Die Gruppe "Energie" darf nach einer Einführung durch den Wissenschaftler Brabec in der Solarfabrik ein Labor erkunden, in dem eine Anlage Solarzellen für die Forschung automatisiert herstellt. Dafür werden Laborkittel und Handschuhe verteilt. Wer möchte, darf selbst einmal das ausprobieren, was sonst die Maschine macht, und ein Substrat mit einer Pipette auf einen Träger tropfen. Nach dem Praxisteil folgt eine Fragerunde. In einer Schulstunde zuvor hat die Gruppe bereits Fragen an den Forscher gesammelt und aufgeschrieben: Aus welchem Material besteht eine Solarzelle? Verhält sich der Forscher auch privat klimabewusst? Gibt es bei ihm Ausbildungsplätze? Brabec zeigt sich beeindruckt von den vielen Fragen.
Die Forschenden treffen auf junge Menschen, für deren Zukunft sie Ideen finden wollen
Zum Exkursionsprogramm gehört auch der Regionalversorger N-Ergie in Nürnberg. Ausbilder Andreas Matschke gibt den acht Jugendlichen zunächst einen Überblick über die Aufgaben des Energieversorgers. Dann stellt er die verschiedenen Ausbildungen im Haus vor und wirbt mit Urlaubstagen, Vergünstigungen und Sportangeboten für das Interesse seiner Gäste. Dann wird es praktisch: Von den rund 180 Auszubildenden sind drei vor Ort, um den Schülern zu zeigen, wie Löten funktioniert. Alle dürfen sich an einer eigenen Station ausprobieren. Manche machen begeistert mit, andere sind skeptisch. Am Ende sollen die Jugendlichen im besten Fall entscheiden können, ob das Berufsfeld etwas für sie wäre.
Nicht nur die Schüler nehmen etwas von den Treffen mit, auch darauf kommt es Theresa Lorenz an. "Die Forschenden treffen auf junge Menschen, für die sie ihre Forschung machen und für deren Zukunft sie Ideen finden wollen." Auch für Brabec, einen der besten 100 Materialwissenschaftler weltweit, ist es wichtig, wissenschaftliche Erkenntnisse an junge Menschen weiterzureichen. "Bei Energieneutralität zählt jedes Jahr, zählt jeder Schritt. Das betrifft uns alle", sagt er. Er gebe sich Mühe, seine Forschung zur Solarenergie für die breite Gesellschaft verständlich zu erklären. "Wir müssen aber noch weiter lernen, deshalb hoffe ich auf Feedback."
Die Schüler und Schülerinnen können sich ansehen, wie in der Forschung gearbeitet wird
Die Rückmeldung einer Schülerin auf dem Heimweg nach dem Termin ist deutlich: "Es war langweilig." Ein anderer Schüler aus der Gruppe sieht das ganz anders: "Ich fand es spannend und ich habe auch was gelernt, zum Beispiel, dass Solarpanels echt günstig sind." Theresa Lorenz findet es nicht schlimm, wenn die Schüler, die mit Pubertät oder Problemen zu Hause zu tun haben, mal nicht so motiviert bei einem Termin dabei sind. "Es ist auch okay, wenn sie feststellen, dass das nichts für sie ist. Aber sie haben zumindest einmal davon gehört und sich ansehen können, wie in der Forschung gearbeitet wird."
Die Erfahrungen aus den Exkursionen und das, was sie in den begleitenden Unterrichtsstunden mit Studierenden gelernt haben, fassen die Projektgruppen zum Ende des Schuljahres in Erklärfilmen zusammen. Skript, Bildgestaltung und Sprechertext kommen von den Jugendlichen. Unterstützt werden sie nur bei der Aufnahme von einer professionellen Videoagentur, die die Videos danach schneidet. Die fertigen Filme werden auf Schulfesten gezeigt und sind bei Youtube zu finden.
Theresa Lorenz sieht den Effekt des Projekts vor allem darin, dass die Themen regelmäßig über ein ganzes Schuljahr hinweg behandelt werden. "Das ist sozusagen ein kontinuierliches Klopfen an die Tür - manchmal bleiben die Türen zu und manchmal gehen sie einen Spalt auf und wir haben einen Fuß drin."
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