Ich konnte mit dem 1. Mai als Feiertag lange nichts anfangen. Klar ist die Tatsache, dass Arbeitnehmende zunächst in den USA wütend darauf gedrängt haben, dass ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden und die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden reduzieren wird, ein mutiges Auflehnen, von dem wir heute spätestens seit der Einführung des Achtstundentages in Deutschland 1918 profitieren. Aber gleichzeitig dachte ich immer: Wieso noch an etwas erinnern, das längst geschafft ist?
Wieso noch den 1. Mai feiern?
Innerhalb der vergangenen Jahre hat sich meine Meinung hierzu jedoch verändert – genauer gesagt seit ich Mutter bin, Elternzeit genommen und in Teilzeit gearbeitet habe. Plötzlich war ich mit der Herausforderung konfrontiert, meine standardmäßige 40-Stunden-Woche (und die meines Mannes) mit der Betreuung eines Kindes zu kombinieren – und bin dadurch auch zu einer wütenden Arbeiterin geworden, die auf Veränderungen drängen möchte.
Erst einmal musste ich auf die harte Tour verstehen, dass die 40-Stunden-Woche als Modell eingeführt wurde, das so funktionierte, dass eine Person (der Mann) diese Zeit abarbeitet, während eine andere Person (die Frau) sich zuhause um alles andere kümmerte. Heute gibt es für die Arbeit der Frau den Begriff Care-Arbeit (oder auch Sorgearbeit).
Dass ein Mann Vollzeit arbeiten konnte, funktionierte, weil er jemanden (eine Frau) hatte, die das Haus putzte, einkaufte, kochte, Wäsche wusch, gegebenenfalls Kinder versorgte, die Familie managte, soziale Kontakte organisierte, Termine im Blick behielt. Dieses System funktioniert heute so nicht mehr, zumindest nicht für die Frauen.
Denn inzwischen sind knapp 80 Prozent der Frauen erwerbstätig. Die Männer "natürlich" weiterhin auch. Gleichzeitig ist der ganze Bereich Care-Arbeit ja deshalb nicht weniger geworden. In der Realität der meisten Familien in Deutschland hängt sie weiter an den Frauen – nur jetzt eben zusätzlich zur Erwerbsarbeit. Frauen investieren durchschnittlich etwa 1,5 Stunden mehr Zeit pro TAG in Haushalt, Kinder und Co.
Dabei ist das krasse, dass diese Entwicklung nicht erst mit der Verantwortung für Kindern entsteht. Auch Ehefrauen in kinderlosen Beziehungen übernehmen deutlich mehr Care-Arbeit. Ich höre immer wieder das Argument, dass Frauen ja dafür mehr in Teilzeit arbeiten und dementsprechend mehr Zeit für den Haushalt hätten. Er war ja schließlich den ganzen Tag im Büro. Das große Problem dabei ist, dass Care-Arbeit im Vergleich zur Erwerbsarbeit nicht bezahlt wird. Ein riesiger Nachteil für die (meist) Frauen, ich sage nur das Stichwort "Altersarmut".
Care-Arbeit und Teilzeit
Dazu kommt, dass das Modell Teilzeit für die meisten weitere Nachteile mit sich bringt. Wie häufig habe ich in meinem Umfeld von Vätern schon den Satz "Mein Job geht halt nicht in Teilzeit" gehört. Gerade bei Führungspositionen hält sich dieser Glaube hartnäckig. Damit sind die 50,3 Prozent der Frauen, die in Deutschland in Teilzeit arbeiten, bei Beförderungen häufig vermeintlich schon mal raus.
Mal ganz abgesehen, dass ihnen in der Elternzeit Gehaltserhöhungen entgehen. So entwickelt sich innerhalb weniger Jahre meist ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Gehältern der Ehepartner, das durch das Ehegattensplitting noch verstärkt wird. Und dann "lohnt es sich eben nicht mehr", dass sie überhaupt arbeiten geht.
Klar, man könnte jetzt argumentieren, in einer auf Lebenszeit geschlossenen Ehe gibt es ein gemeinsam erwirtschaftetes Einkommen, das fair geteilt wird. Aber auch dieser Gedanke ist nicht mehr zeitgemäß. Wurden 1960 noch 48.000 Ehen geschieden, waren es 2023 schon 129.000. Eine Ehe funktioniert nicht als Altersvorsorge. Mal ganz abgesehen von der psychisch-emotionalen Komponente, stets vom Gehalt des Mannes abhängig zu sein – und auch als Mann stets allein die Verantwortung tragen zu müssen, die gesamte Familie zu finanzieren.
Auch gibt es den Begriff der "Motherhood Penalty", also Mutterschafts-Strafe. Er beschreibt den Unterschied im Einkommen von kinderlosen Frauen und Müttern. Auf Lebenszeit summiert, erzielen Mütter mit einem Kind laut Bertelsmann Stiftung 40 Prozent weniger Einkommen, Frauen mit drei oder mehr Kindern sogar 70 Prozent weniger.
Dabei spielen all die genannten Punkte mit rein.
Dass unser Erwerbssystem immer noch auf das Modell "einer arbeitet, eine kümmert sich zuhause" ausgerichtet ist, zeigt auch ein Blick auf die Schulferien. Eltern in Bayern müssen ihre Kinder in diesem Jahr zum Beispiel an 66 Ferientagen, an denen die Schulen geschlossen haben, irgendwie anders betreuen. Gleichzeitig haben durchschnittliche Arbeitnehmende in Bayern 28,3 Urlaubstage. Wie soll das funktionieren, wenn beide Eltern erwerbstätig sind? Ein Problem, mit dem jede Familie klarkommen muss.
Gibt es Lösungen?
Die öffentliche Diskussion (wobei zu hinterfragen ist, ob dabei wirklich mit Betroffenen diskutiert wird) beschränkt sich im Familien-Erwerbsbereich meist auf "Lösungen", die vorsehen, dass Frauen mehr arbeiten und damit mehr "leisten", um die Wirtschaft anzukurbeln sowie die Betreuungsangebote für Kinder auszubauen. Ersteres suggeriert schnell, dass Frauen zu viel Freizeit und einfach keine Lust zu arbeiten hätten – das Thema Care-Arbeit wird dabei völlig ausgeklammert. Würde man diese berücksichtigen, wäre klar, dass Frauen im Durchschnitt sogar mehr arbeiten als Männer, sie werden nur nicht dafür bezahlt und ihre Leistung zu Hause nicht anerkannt.
Wenn sich also Politiker wie zuletzt Winfried Kretschmann Interview geben und damit prahlen, dass sie Zwölf-Stunden-Tage hätten, sagen, wir müssten mehr arbeiten und dass die Arbeitsmoral heutzutage "aus der Zeit gefallen" sei, muss ich sagen, dass ich persönlich Winfried Kretschmann für aus der Zeit gefallen halte.
Auch Betreuungsangebote auszubauen ist extrem wichtig, die Situation in Deutschland ist erschreckend ungenügend – aber auch nicht die einzige Lösung. Wichtiger wäre, die Zeit, die wir als Gesellschaft in Kindererziehung stecken, finanziell zu entlohnen und in einem ersten Schritt überhaupt als wertvolle Arbeit anzuerkennen. Ein Kind bei seinem Aufwachsen begleiten zu dürfen, ist ein einzigartiges und genau so bereicherndes, wie anstrengendes Unterfangen.
Eines, das meiner Ansicht und Erfahrung nach Vätern genau so zusteht wie Müttern. Es ist kein Geheimnis, dass ein Großteil der Väter gerne mehr Kinderbetreuung übernehmen würde und gleichzeitig einige Frauen gerne mehr erwerbsarbeiten. Doch bislang bleibt es hier größtenteils beim Konjunktiv. Übrigens ist der Mythos, dass Mütter grundsätzlich aufgrund ihres Instinktes für die Kindererziehung natürlich besser geeignet seien, längst wissenschaftlich widerlegt.
Die Arbeitswelt muss sich weiter verändern
Meine Wunschliste an Veränderungen in der Arbeitswelt ist inzwischen lang. Ich wünsche mir flexiblere Möglichkeiten in der Verteilung der Arbeitszeiten zwischen Vater und Mutter, die gleichberechtiges Übernehmen von Sorge-Arbeit ermöglicht und eine gemeinsame Verantwortung für Kinder und Haushalt. Ich wünsche mir, dass noch mehr Arbeitgeber checken, was für Potenzial in teilzeitarbeitenden Müttern steckt – niemand arbeitet so effizient, schnell, lösungsorientiert und flexibel wie sie.
Ich wünsche mir, dass finanzielle Gründe keine Familie daran hindern, Elternzeit zu nehmen, und diese Zeit sollte zwischen Vater und Mutter flexibel aufgeteilt werden. Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft Frauen wie Männern signalisiert, dass das Kümmern um Kindern, die Pflege Angehöriger oder auch einfach das Managen eines Haushalts wertvolle Arbeit sind, ohne die unser gesamtes Wirtschaftssystem nicht funktionieren würde.
Wir brauchen den 1. Mai immer noch, denn genau so wie bei den wütend protestierenden Arbeitnehmenden im 19. Jahrhunderten gilt: Solange niemand auf Probleme aufmerksam macht und demonstriert, ändert sich nichts.
Kommentare
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Die jungen und auch aeltere…
Die jungen und auch aeltere Muetter die ich treffe sind zufrieden mit ihrem Teilzeitjob und moechten keinesfalls ganztags arbeiten,auch wenn es moeglich ist ,vielleicht nach der Schulzeit oder nie.
Alles finanziell abgesichert bis zur Rente ist unmoeglich.
Erstens: Wut als politisches…
Erstens: Wut als politisches Argument halte ich für gefährlich. Von Nah-Ost bis zur Klimapolitik bringt Wut nur harte Fronten; Dialog muss (gerade in christlichem Umfeld) die Lösung sein!
Zweitens: In der Argumentation völlig unter den Tisch gekehrt werden hier Selbstständige, für die Elternzeit eben nicht möglich ist - und auch rententechnisch nicht wirksam ausgeglichen wird, was tatsächlich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist.
Drittens: Statt die notwendige Beweglichkeit immer nur beim Arbeitgeber zu fordern (Flexibilität bedeutet, dass dann entweder kurzfristig Andere mehr arbeiten müssen, wofür sie bezahlt und anerkannt -> schnell befördert werden möchten, oder dass von vornherein nicht „Volllast“ geplant wird, was volkswirtschaftlich Verlust bedeutet), muss die Gesellschaft Care-Arbeit anerkennen - womit wir bei der Mütterrente wären. Davon lese ich hier… nichts? Es schreibt eine Selbstständige, die als verheiratete Alleinerziehende vier Kinder groß gezogen hat,
Ich sehr hier viele Mütter…
Ich sehr hier viele Mütter die könnten alle Vollzeit arbeiten.
Betreuung ist da,der Vater übernimmt auch arbeiten im Haushalt und kümmert sich.
Aber die Frauen möchten nicht ganztags arbeiten.
Die Erzieherin kommt mittags nach Hause,mit dem Kind.
Ich sehe es nicht dass es der Wunschtraum aller Mütter ist mit Kindern Vollzeit zu arbeiten.
Auch wenn Väter heute schon alles machen können.
Alle unbezahlte Arbeit..